Es müssen ja nicht immer gleich die großen Staatstheater in München, Wien oder Berlin sein. Auch in kleineren Häusern – eine Erfahrung, die wir zuletzt in Frankfurt, in Karlsruhe, in Lübeck und jetzt in Freiburg im Breisgau machen konnten, gelingen hervorragende Wagner Aufführungen, werden wie jetzt in Freiburg eigenwillige Inszenierungen vorgestellt. In Freiburg hat Wagners Gralsritter alles Geheimnisvolle, alles Mythische, jegliche Aura verloren.… → weiterlesen
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Geschichten aus dem Freiburgland. Eine respektable Götterdämmerung am Theater Freiburg
Wenn mittelgroße Häuser sich an den Ring wagen und wenn er dann wie jetzt in Freiburg (vielleicht mit Ausnahme des Rheingolds) auch noch gelingt, dann erübrigt sich jegliche Mäkelei, dann kann man den Wagemut der Verantwortlichen nur bewundern. In Freiburg steht – allen voran Christian Voigt als Siegfried und Sabine Hogrefe als Brünnhilde – ein brillantes Sängerensemble auf der Bühne, das nach einem etwas verhaltenen Beginn sich immer mehr steigerte und das zu Recht enthusiastisch gefeiert wurde. Auch was aus dem Graben klang, war beachtlich (es muss ja nicht immer gleich die Wagnerdroge sein, wie sie – manchmal – den großen Häusern gelingt). Die Inszenierung versucht sich erst gar nicht an einem Welterklärungsmodell, sondern setzt konsequent und stringent auf eine Aktualisierung und Degradierung des Mythos, um nicht zu sagen: auf eine Banalisierung des Geschehens. In Freiburg geht es nicht um Gott und Menschheit, tumbe Helden und finstre Bösewichte. Hier geht es um Intrigen, um Eifersucht und Rachsucht und Scheitern unter eher unbedarften kleinen Leuten. Brünnhilde ist in der ersten Szene das späte Mädchen von nebenan, das mit seinem Lover im Bett liegt und von Albträumen gequält wird: ihre Puppen verwandeln sich in groteske Hexen (bei Wagner die Nornen) und versuchen, sie im Wortverstande einzuspinnen und zu fesseln. Siegfried, im weißen Sommeranzug, ist ein eitler Sunnyboy, der offensichtlich mit der falschen Frau im Bett liegt und der von Gutrune, die ein bisschen auf verrucht macht, mit einem Kuss (auf den Zaubertrank verzichtet die Regie zu Recht) gefügig gemacht wird. Und Hagen ist keineswegs der Finsterling, als der er so gerne präsentiert wird. In Freiburg ist er mit Brille und im gediegenen Anzug ein Intellektueller, vielleicht ein zu kurz gekommener Professor oder Bibliotheksrat, der für die Katakomben der Uni-Bibliothek zuständig ist und inmitten von unausgepackten Bücherkartons lebt. Gunther und Gutrune sind wohl für die oberen Etagen der Bibliothek zuständig. Da ergibt es sich gleichsam von selber, dass man in den Kisten die alten Geschichten von Siegfried und Hagen und den Nibelungen findet und – ein schöner, gar nicht aufdringlicher Metatheatergag – sie nachspielt. Und alle Mitarbeiter spielen mit: die studentischen Hilfskräfte dürfen die Rheintöchter machen und die kräftigen Bücherschlepper, die spielen halt die Mannen. Professor Hagen ist am Ende richtig erschrocken darüber, dass er seinen Rivalen, den Schönling Siegfried, gemeuchelt hat. Wollte der doch gar nicht Bibliotheksdirektor werden, sondern sich nur mit der hübschen Assistentin Gutrune amüsieren. Oder sagen wir es im Uni-Jargon: Altgermanist Prof. Hagen hat endlich sein Forschungsobjekt, die Nibelungen, und den verhassten, so erfolgreichen Kollegen noch dazu zur Strecke gebracht. Schade nur, dass das frustrierte späte Mädchen, die neu dazu gekommene Kollegin, der alle Mitspieler so viel Übles angetan haben, den burschikosen Rächer mimen will. Da bleibt Professor Hagen nur die Flucht hinter seine Bücherkartons, und alle Mitspieler (alle Mitarbeiter der Bibliothek) schauen im Finale recht verbiestert drein. Ja, warum soll man Wagners Mythen nicht auch mal von ihrer Schwerlastigkeit befreien und sie als Variante der Banalitäten erzählen. In Freiburg macht man das gekonnt. Wir sahen die Vorstellung am 4. Juni 2010. Die Premiere war am 16. Mai des gleichen Jahres.
Karnevalisierung im Exzess. Calixto Bieito inszeniert im Theater Freiburg Ligetis Le Grand Macabre
Ich bin nicht unbedingt ein Ligeti Fan – mag er für die Musikhistoriker auch ein Klassiker zeitgenössischer Musik sein. Ich bin unbedingt ein Bieito Fan – mag er für manchen Kritiker auch der „Unterleibhaftige“ des heutigen Regietheaters sein. Die auf Unterleibtheater Versessenen, die kommen in Freiburg nicht auf ihre Kosten. Doch für alle Freunde der Karnevalisierung, des Karnevals im Sinne Michail Bachtins, für die ist großzügig der Tisch, sprich: die Bühne, bereitet. Die Szene wird zum bunten Bilderreigen, in dem sich Bachtins „Lachkultur“ und deren Begriffssprache konkretisieren: die Groteske und der groteske Leib, die auf den Kopf gestellte Welt, die Profanation des Heiligen, die Mesalliance, die allgemeine Familialisierung, die Exzentrik und immer wieder das befreiende Lachen, mit dem allem Schrecken begegnet wird. Auf Bachtin und seine Karnevalisierung als Regiekonzept zu kommen, dazu bedarf es allerdings bei einem Libretto wie Le Grand Macabre, einer Bearbeitung von Ghelderodes gleichnamigem Stück vom Jahre 1934, keiner allzu großen intellektuellen Anstrengung. Ghelderodes Stück La Balade du Grand Macabre, eine Parodie der Parusie, der Wiederkehr Christi am jüngsten Tage, bietet geradezu eine klassische Vorlage für das Karnevalisierungskonzept. Der Untergangsprophet Nekrotzar (die Namen aller Figuren haben eine leicht durchschaubare Namenssymbolik) ist zugleich eine Art teuflischer Wiedergänger, ein Komödiant, ein Säufer und natürlich ganz im Sinne von Bachtins „umgestülpter Welt“ die Parodie der Christusfigur, der pervertierte Erlöser, der nicht mehr ewiges Leben, sondern ewigen Tod verkündet, dessen Botschaft verlacht wird, der im Suff seine angebliche Mission vergisst und dem doch im Reigen der grotesken Figuren, die sich da auf der Bühne tummeln und die gleich die ersten Reihen des Parketts mitsamt den etwas peinlich berührten Zuschauern mit zur Spielfläche machen, letztlich nur eine Nebenrolle zukommt. Und in der Tat ist so ziemlich alles versammelt, was das Bachtinsche Panoptikum der Karnevalisierung ausmacht: der unförmig aufgeschwellte Leib in der Säuferfigur des Piet vom Fass und des schwangeren Mädchens, das immer wieder durch die Szene und den Zuschauerraum geistert, der monströse Phallus, den sich le grand macabre umbindet, um die sextolle Megäre zum scheinbar tödlichen Orgasmus zu bringen, das überdrehte Liebespaar mit den sprechenden Namen Clitoria und Spermando, das sich in alle Winkel drückt, um seinen Gelüsten freien Lauf zu lassen und das von dem ganzen Weltuntergangsspektakel gar nichts mitbekommt, die heruntergekommene Tunte, die den Fürsten mimt, der seine beiden Minister zu Gespielen reduziert, der Hofastrologe als Mischung aus Tunte und Transvestiten, der Geheimdienstchef als Melange aus sowjetischem Offizier und Lesbe. Bachtins Karnevalskategorien werden geradezu bis zum Überdruss durchexerziert. Doch wie im ‚realen’ Karneval rettet vor den Peinlichkeiten, vor all den Albernheiten, die da zu sehn und zu hören sind, immer wieder das befreiende Lachen, ein Lachen, das eben mit ‚Entsetzen Scherz treibt’. Das „Brueghelland“, das scheinbar den Triumph des Todes und den Weltenuntergang erfährt, ist ein Land des Gelächters, eines Gelächters, das vor keinen Autoritäten Halt macht, ein Land, das den Triumph des Carpe Diem, des Lebensgenusses über den Tod feiert. In Freiburg steht ein hoch motiviertes, glänzend aufgelegtes Ensemble auf der Bühne, das all die Schwierigkeiten der anspruchsvollen Partien meistert und das noch dazu mit seiner unbändigen Spielfreude das Publikum begeistert. Wollte man von all den Solisten einen hervorheben, dann müsste es der Countertenor Xavier Sabata sein, der in der Rolle des tuntigen Fürsten Go-Go als Sänger und Schauspieler in der Tat alle Mitwirkenden noch überragt. Ein großer Theaterabend – ganz wie man ihn von einem Theatermann wie Calixto Bieito erwartet. Ein Abend, in dem die Szene und nicht die Musik dominiert – ganz wie man es bei Calixto Bieito erwartet. Salopp gesagt: bei dem grandiosen Spektakel, das da aufgezogen wurde, fiel der Soundtrack nicht weiter auf. Wir sahen die Vorstellung am 23. April 2010. Die Premiere war am 30. Januar 2010.
Marionettentheater mit konzertanten Einlagen. Oberon im Theater Freiburg
Nach dem Salome Desaster hatte ich eigentlich vom Freiburger Opernhaus genug und wollte meine Karte verfallen lassen. Doch der Oberon ist eine solche Rarität auf den Opernbühnen, und Webers Musik, die ich vor einem Jahr bei einer konzertanten Aufführung in München gehört hatte, ist so romantisch schön, dass ich trotz aller Bedenken noch einmal nach Freiburg gefahren bin. Und dieses Mal hat es sich gelohnt. So misslungen die Salome war, so gelungen ist jetzt der Oberon. In Freiburg setzt man keine „romantische OFeenoper“ in Szene, versucht sich erst gar nicht am Dekorationstheater oder gar an einer Ausstattungsrevue, wie es das Libretto hätte nahe liegen können. In Freiburg spielt man die neue Textfassung von Martin Mosebach, die die Handlung auf den Streit zwischen Oberon und Titania um ihre beiden Spielfiguren, den fränkischen Ritter und die babylonische Prinzessin und deren beider Standfestigkeit, reduziert und versetzt die Zuschauer, einer Anregung Mosebachs folgend, in die Welt des sizilianischen Marionettentheaters, in das „Teatro dei Pupi“, in dem die Ritter aus dem Frankenland gegen die Sarazenen kämpfen und die Prinzessinnen befreien. Eine konsequente Entscheidung, denn in der Tat ist das sich streitende Elfenpaar nur ein Puppenspielerpaar, das ganz im Wortverstande die Puppen tanzen lässt, mit Menschen wie mit Marionetten spielt und mit deren Gefühlen experimentiert. So kämpfen und lieben und leiden denn Marionetten auf der Bühne. Und konsequent ist es weiterhin, den Streit des ‚hohen Paares’ als Sprechtheater zu geben, von Schauspielern spielen zu lassen, mit der Folge, dass die Rollen des Oberon und der Titania doppelt besetzt sind, jeweils von einem Sänger und einem Schauspieler. So sieht man denn in Freiburg ein so genanntes ‚hybrides’ Theater, ein Theater, in dem Schauspiel, Puppenspiel und Oper sich überlagern und überkreuzen und in dem die Oper letztlich zur Schauspielmusik wird oder, wenn so will, auf der Strecke bleibt. Die Sänger spielen nie mit – eben weil an ihrer Stelle die Marionetten agieren. Sie stehen im Wortverstande am Rande und singen von dort aus ihre Arien. Nur der Chor spielt mit und mimt mal die Haremswächter, mal die Meeresungeheuer, die den Sturm entfachen, mal den Hofstaat der Elfenkönige. Doch vor allem spielt er – in Alltagskleidung und nur eben angedeuteter Kostümierung – Theater auf dem Theater. Alles ist nur Theater: ein Spiel der Marionetten, das den Spielleitern Oberon und Titania schließlich aus den Händen gleitet: am Ende müssen sie ihre Puppen, den Ritter und seine Prinzessin und das Dienerpaar, die indes nicht zu Menschen, sondern zu Popanzen aus dem Harem mutiert sind, ziehen lassen. Die Puppenspieler sind – wiederum im Wortverstande – ohnmächtig geworden. In Freiburg weiß man, wenngleich ich schon mehrmals alle Hoffnung fahren lassen wollte, noch immer Theater zu spielen, unterhaltsames und gekonntes, anspruchsvolles und geistreiches Theater. Wir sahen die Vorstellung am 27. Dezember 2009. Die Premiere war am 7. November 2009.
Der Bademeister, das Girlie und Napoleon im ägyptischen Zeltlager. Eine verhunzte Salome im Theater Freiburg
Mit den kleinen Häusern, wenngleich sie manchmal Beachtliches leisten, muss man Nachsicht üben – allerdings nur bis zu einer bestimmten Grenze. In Freiburg hat man diese Grenze, sei es aus Unvermögen, sei aus Bequemlichkeit, sei es wegen fehlender Mittel, überschritten und die Salome musikalisch und szenisch erledigt. Oder um es etwas vorsichtiger zu sagen: die Freiburger, die vor ein paar Jahren eine grandiose Lucia auf die Bühne brachten, deren Walküre und deren Siegfried durchaus hörenswert und sehenswert ist, haben mit der Prinzessin Salome kein Glück gehabt.… → weiterlesen
27. 12. 08 “Tutto mi fa spavento…” Lucio Silla in der Oper in Freiburg im Breisgau
Wenn sich schon die großen Bühnen mit einer opera seria schwer tun, um wie viel schwerer haben es da die kleinen Häuser. In Freiburg hat man sich mit dem Stadttheater Aachen zusammengetan, um Mozarts opere serie aufzuführen, ein Projekt, das wohl die künstlerischen Möglichkeiten beider Häuser übersteigt. Muss man doch, wenn das ganze nicht in einem Desaster enden soll, nicht nur über ein herausragendes Sängerensemble verfügen, sondern noch dazu einen Regisseur der Spitzenklasse engagieren können. In Freiburg hat man sich vielleicht in einem Akt künstlerischer Hybris über diesen Grundsatz leichtfertig hinweggesetzt und einem geduldigen, höflichen und toleranten Publikum eine Aufführung präsentiert, die nur als Zumutung zu qualifizieren ist. Zwar hatte man mit Iride Martínez einen langjährigen Star der Kölner Oper für die Rolle der Giunia engagiert, und natürlich sang diese als Primadonna so brillant, wie man das von ihren Kölner Auftritten her kennt. Allein die Martínez war auch der einzige Lichtblick im Freiburger Lucio Silla.