Was haben Strawinskys Opernoratorium und Tschaikowskis lyrische Oper gemeinsam? Auf den ersten Blick: gar nichts. Hier die griechische Tragödie vom unschuldig-schuldigen Ödipus. Dort das Märchen von der blinden Prinzessin, die von ihrer Krankheit geheilt wird und die Liebe findet. Und doch – so zeigt Theatermacherin Lydia Steier – gibt es zwischen den scheinbar sich so fern stehenden Stücken Verklammerungen. Ein vom Fatum vernichteter Ödipus wählt, als er seiner Taten einsichtig wird, freiwillig die Nacht der Blindheit. Die blinde Prinzessin wählt, um den Geliebten zu retten, das Risiko des Lichts.
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Tschaikowskis Nachtmären. Stefan Herheim inszeniert Pique Dame an der Oper Amsterdam
Wenn Stefan Herheim inszeniert, dann darf der Zuschauer großes Musiktheater erwarten. Scheinbar so vertraute Stücke gewinnen ganz andere, ganz neue Dimensionen, und verdeckte Bedeutungsschichten werden frei gelegt. Aus Rusalka wird die kleine Hure auf der Suche nach der großen Liebe. Im Eugen Onegin wird gleich ein Bilderbogen der russischen Geschichte mitgeliefert. Im Rosenkavalier werden schon zur Ouvertüre die erotischen Phantasien der Marschallin in Szene gesetzt, wenn Silenen und Satyrn auf sie einstürzen und ein androgyner Jüngling vom Himmel hernieder sinkt. Les Contes d’Hoffmann werden zum Revue-Theater, in dem sich alle Identitäten auflösen.
Auch jetzt in Amsterdam ist alles anders, als es der Zuschauer erwartet. Hauptperson ist nicht der der Spielsucht verfallenen junge Offizier Hermann. Auch nicht die alte Gräfin, die angeblich das Geheimnis der Spielkarten kennt, der Karten, die unermesslichen Gewinn bescheren. Auch die unglückliche Liza, die der Spieler seiner Sucht opfert, steht nicht im Zentrum des Interesses. All diese Personen sind nur Nebenfiguren, und die mit ihnen verbundenen Handlungsstränge, wenngleich sie die konventionelle Handlung vorantreiben, sind nur Episoden. Im Zentrum des Geschehens steht die Figur des Komponisten selber, Tschaikowski mit seiner unterdrückten und doch immer wieder hervorbrechenden Homosexualität, … → weiterlesen
Un déjeuner sur l’herbe mit fatalen Folgen: Jewgeni Onegin an der Komischen Oper Berlin
So viele Male haben wir Tschaikowskis „Lyrische Szenen“ nun schon gehört und in den unterschiedlichsten Inszenierungen gesehen. Die einen konzentrieren sich auf die Figur der Tatjana und stellen diese als die moderne „starke Frau“ heraus. Andere erzählen uns zur unglücklichen Liebesmär die russische Geschichte bis hin zu Putin gleich mit. Wieder andere wollen vom Leben auf dem Lande gar nichts mehr wissen und verlegen die Handlung in die Zeit des Moskauer Immobilien Booms der Jelzin Zeit. Und wieder andere machen aus den „Lyrischen Szenen“ eine Schwulenoper.
All dies sind mögliche Regiekonzeptionen, die – jede auf ihre Weise – mehr oder weniger verborgene Bedeutungsschichten des Werkes aufdecken. Doch der Onegin, wie ihn Barrie Kosky jetzt an der Komischen Oper in Szene gesetzt hat, lässt, so scheint es mir, alle anderen Deutungen vergessen, übertrifft sie alle an Poesie und Traum. Hier scheut die Regie sich nicht, romantische Liebe und Melancholie, Vergeblichkeit und Vergessen in den Mittelpunkt zu stellen und dies alles mit leichter Ironie, mit einer Ironie, die nicht verletzen, nicht bloß stellen will, wieder in Frage zu stellen.… → weiterlesen
Femme fatale – wider Willen. Christof Loy inszeniert Tschaikowski: Charodeyka (Die Zauberin) am Theater an der Wien
Ja, Nastasja, die „Zauberin“, verzaubert und bezaubert sie alle. Mächtige und Ohnmächtige, Machos und Softies, Frauen und Männer, und die Folgen sind für die, die sich zu weit vor wagen und nicht zuletzt auch für die „Zauberin“ selber fatal. Mehr noch. Sie sind letal: für den Märchenprinzen, den sich die Zauberin auserkoren hat und den der eifersüchtige Papa ersticht und für die Zauberin selber, die von der bösen Mama des Prinzen vergiftet wird.
Christof Loy hat die Mär von der knabenhaft jungen Frau, die so gar nichts von einer Circe, Kalypso, Alcina oder gar einer Carmen hat und deren ‚Charme‘ doch alle verfallen, als ein heterogenes Stück in Szene gesetzt: als Volksstück im ersten, als Kammerspiel im zweiten und dritten Akt und als Antimärchen im vierten Akt: konkret als eine Mischung aus Bierzeltfete, Szenen einer Ehe, Hollywood Kitsch um Passion und Rache und als Horrortrip im Märchenwald. All dies, seien es nun Massenszenen oder kammerspielartige Dialoge, gelingt dank einer subtilen Technik der Personenregie. Wie Loy im ersten Akt eine Hundertschaft von Chorsängern und kleinen Solisten auf engem Raum durch die Szene dirigiert, die Szene gleichsam choreographiert, das ist schon bewundernswert. Und das gleiche gilt für die Einzelszenen. Zum Beispiel für die Szene Fürst und Nastasja im dritten Akt. Wie die ‚Zauberin‘ vor einer leeren Wand auf der Empore mit gelangweilten Gesten absoluter Gleichgültigkeit den sich immer mehr in Rage redenden (Pardon singenden) Fürsten in den Wahnsinn treibt, das ist schon grandios inszeniert.
Auch in dieser seiner Tschaikowski Inszenierung ist Loys persönlicher Stil: sein ausgeprägter Minimalismus, sein Hang zum Metatheater und zu Zitaten leicht erkennbar. Als Spieldekor genügen ihm ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett. Spielfläche in allen Akten ist eine Empore in einem geschlossenen Raum, der sich im Bühnenhintergrund zu freien Natur, zu einer Lichtung hin öffnen kann. Diese Freiheit ist nur eine Illusion, ein Kunstprodukt, ein Bühnenprospekt, den die ‚lustige Gesellschaft‘ im ersten Akt einfach vom Schnürboden herunterzieht. Ein scheinbar simpler Metatheatergag und doch ein Signal, dass die scheinbar so krude ‚Realität‘ des Wirtshauses der ‚Zauberin‘ Nastasja, in dem sich Bürger, Ausgeflippte und Komödianten zu Besäufnis, Kraftmeierei und Tanz treffen, nicht auf die ‚Realität‘, sondern auf die Gattung des Volksstücks verweist. Die „lustige Gesellschaft“ regiert Nastasja mit leichter Hand. Niemandem gehörig, niemandem untertan, auch nicht der Obrigkeit, die sie in der Person des Fürsten bedrängt und den sie allein durch ihren Charme für sich gewinnt – und abweist.
Höhepunkt des Stücks – und der Inszenierung ist der finale vierte Akt: das Antimärchen mit den Attributen des Märchens. Im Märchenwald, dem Ort der scheinbaren Freiheit, findet sich der sanfte Bär, an den sich die arme Nastasja im Sterben kuscheln wird. Da finden sich der Zauberer im Zirkusdress, die mordlüsterne Mutter als Hexe (wohl aus einer Rusalka Inszenierung), das arme Mägdelein (Nastasja, die all ihren Charme verloren hat), das auf den Märchenprinzen wartet. Und als dieser schließlich kommt, da ist es schon zu spät. Da hat die Hexe das Mädchen schon mit einem Zaubertrank vergiftet. Romeo alias Prinz Juri braucht sich in seinem Schmerz gar nicht selber ins Jenseits zu befördern. Das besorgt schon der dem Wahnsinn verfallene eifersüchtige Fürst und Papa. Und Fürstin Mama schaut zu. Kein Märchen. Ein Antimärchen. „Tot denn alles!“. Nicht ganz. Der Mythos von der Femme fatale – daran erinnert die Regie im Finale – ist unsterblich. In unzähligen Varianten lebt er immer weiter fort. Wie Violetta steht Nastasja wieder auf und entschwindet im Licht und wird wiederkommen und neue Opfer finden.
Eine anspruchsvolle, glänzend gelungene Inszenierung einer Rarität ist im Theater an der Wien zu sehen. Und die Musik? Ein für mich unbekannter Tschaikowski, der bezaubert. Und Orchesterklang und Gesang und Spiel? Einfach grandios. Allen voran als unbestrittener Star des Abends Asmik Grigorian in der Titelrolle. Zurückhaltend im Spiel – ganz wie es die Regie von einer Femme fatale wider Willen verlangt. Überragend als Sängerin. Faszinierend als Bühnenerscheinung.
Das Theater an der Wien beginnt die neue Saison mit einem Highlight, einem großen Opernabend. Wir sahen die Vorstellung am 23. September. Die Premiere war am 14. September 2014.