Nachtmützen-Träumereien eines Spitzweg Poeten. Stefan Herheim inszeniert Die Meistersinger von Nürnberg bei den Salzburger Festspielen 2013

Es war ein teures, ein sehr teures Vergnügen. In Salzburg zahlt man heuer für gute Plätze exorbitante Preise. Vielleicht war dies mit einer der Gründe, warum ein Teil des Publikums im großen Festspielhaus Maestro Daniele Gatti  ausbuhen zu müssen glaubte. Ja, wer das teutonische Gebrause und Gedröhne vermisst, mit denen so mancher Dirigent der Meistersinger gleich bei der Ouvertüre lärmend loszulegen pflegt, der war wohl enttäuscht, die angebliche deutsche „Nationaloper“ so verhalten, so zurückhaltend, so fein ziseliert hören zu müssen. Eine Interpretation gegen den gängigen Erwartungshorizont. Eine Interpretation indes, die, so scheint  es mir, in geradezu perfekter Weise mit der Inszenierung harmonisiert. Eine Inszenierung, die dem Stück nicht Gewalt antut, die mit leichter Ironie das Märchenhafte, das Wagners ‚Komödie für Musik‘ anhaftet, herausstellt. (Der Prinz kriegt nach allerlei Prüfungen die Prinzessin. Ein gutmütiger Magier, der eigentlich selbst die Prinzessin für sich gewinnen könnte, hilft dem Prinzen und der Prinzessin zu ihrem Glück. Und wir alle, auf der Bühne und im Parkett, freuen uns daran). Dieser Märcheninszenierung liegen alles Gedröhne und alle Deutschtümelei und erst recht alle politischen Referenzen fern.  Eine Erholung für alle, die des Politischen und des besserwisserischen Getues überdrüssig sind, mit denen so manche Theatermacher ihr Publikum zu traktieren pflegen.

„Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein“, ist ein „Morgentraum“ des Poeten Hans Sachs, was sich da auf der Bühne ereignet. Noch bevor die Ouvertüre einsetzt, stürzt ein Hans Sachs im langen Nachthemd, mit der Nachtmütze auf dem Kopf herein, sucht, noch vom Schlaf benommen, in seiner Biedermeier Wohnung  nach seinem kleinen Schreibtisch, schreibt zur Ouvertüre hastig auf, was er geträumt hat, baut mit den Bauklötzen, die ihm noch von seinen Kindern geblieben sind, sein Nürnberg auf, zieht den Gazevorhang vor die Vorderbühne und schon öffnet sich sein Haus hin zur Hauptbühne, zur ersten Szene, vor einem Hans Sachs, der sich im Traum vor den Choral singenden Bürgern sieht, der nach Eva zärtlich greift, einer Eva, die nur Augen für den Korpsstudenten Stolzing hat und den Poeten gleich von sich stößt. Ein bisschen Freud muss zur Unterhaltung der Postfreudianer halt immer sein: Stolzings ‚Spadi‘, den Eva gleich für sich reklamiert. Die mühsam ‚verdrängte‘ Passion des älteren Mannes zum jungen Mädchen.

Die Meistersinger von Nürnberg, eine Komödie von Hans Sachs, Poet im Nürnberg der Biedermeierzeit, eine Komödie, erträumt, in Verse gefasst und inszeniert vom Selbigen, mit ihm selber in der Hauptrolle, dies ist die Grundkonzeption von Stefan Herheims Inszenierung. … → weiterlesen

Mythensalat und Philosophaster gleich kübelweise. Harrison Birtwistle: Gawain bei den Salzburger Festspielen 2013

Da sage man nicht, die renommierten Festspiele seien dem zeitgenössischen Musiktheater  nicht aufgeschlossen. Ganz im Gegenteil. In diesem Jahr steht die zeitgenössische englische Oper im Zentrum des Interesses. Bei den Münchner Opernfestspielen war als Übernahme aus Aix-en-Provence  und Amsterdam  in einer höchst brillanten Inszenierung George Benjamins Written on Skin zu sehen und zu hören. Ein Stück, das auf einem hybriden Libretto aus mittelalterlicher Herzmäre, Mysterienspiel und modernem Metatheater beruht und in seiner Musik wohl dem modernen englischen Klassiker Britten nahe steht (Wir sahen Written on Skin in Amsterdam). In Salzburg ist man weit ehrgeiziger. Da muss es mit der Neuinszenierung von  Birtwistles Gawain  statt eines Kammerspiels  gleich ein großes Opernspektakel im Ambiente der Felsenreitschule sein. Große Oper mit einem dreigeteilten Riesenorchester, einem Großaufgebot an Sängern und Schauspielern, mit Videoeinspielungen, mit Hunden und Schrottautos, Rollstuhl, Reiterstatue, Motorsäge und Hackebeil, vermoderter Tafel und Särgen, einem überdimensionalen Beuys Porträt, mit Beuys Zitaten und einem Beuys Outfit für den Hauptdarsteller.

Bühne, Libretto und wohl auch die Musik (soweit die simple Opernbesucherin das heraushören kann) sind ein Sammelsurium, ein Gemischtwarenladen, ein Ansammlung von Zitaten  aus dem Bücherregal und der Musiktruhe des wohl situierten  Bildungsbürgers. Erzählt wird eine „mittelenglische Romanze“, genauer: eine Aventüre aus dem Artus-Zyklus: Ausfahrt, Bewährung, Sieg und Rückkehr des Ritters Gawain. In Szene gesetzt wird die Initiationssreise, die Initiationsweihe des Künstlers Beuys, der mit seinen Worten und Werken auf Unverständnis trifft, von Gegnern und Anhängern vernichtet wird und doch deren Vorbild bleibt.… → weiterlesen