Una bella improvvisata – am Abend vor der Vernissage. Damiano Michieletto inszeniert Rossini: Il Viaggio a Reims am Muziektheater Amsterdam

Was kann die Regie aus einem Stück machen, das im Jahre 1825 zu den Krönungsfeierlichkeiten  Karls X. aufgeführt wurde, zu Ehren eines, so lassen uns die Historiker wissen,  Ultra, eines reaktionären Bourbonen? Was soll man aus Rossinis „dramma giocoso“ machen, einem „dramma“ mit dünner Handlung, das  zum Ausgleich dafür ein Feuerwerk von Arien, Duetten und Ensembleszenen bietet, ein Juwel für die Rossini Verehrer?

Theatermacher Michieletto zaubert aus Rossinis komischer Oper eine Komödie hoch drei, in der  ein Gag auf den anderen folgt. Ort und Zeit und Personal, wie sie das Libretto vorgibt, wird nicht etwa eine billige Aktualisierung aufgepfropft. Sie werden einfach neu erfunden.… → weiterlesen

Lohengrin bei den Buddhisten. Eine szenisch misslungene Aufführung im Muziektheater Amsterdam

Lohengrin als Investmentbanker, der eine junge Dame, die sich verspekuliert hat, vor dem Ruin rettet und seinen Kollegen Märchen erzählt. Lohengrin unter präfaschistischen Bauern in einer bayerischen Dorfschänke, den die Dorfschöne wachküsst. Lohengrin als schwäbischer Häuslebauer, der seiner unbotmäßigen Elsa das Häusle anzündet. Lohengrin als Popanz, all dies und noch vieles andere haben wir in den letzten Jahren schon gesehen. Und jetzt in Amsterdam mal Lohengrin unter Buddhisten. Ja, warum eigentlich nicht, wo doch der späte Wagner einen Hang zu fernöstlichen Religionen gehabt haben soll.

Wir möchten dem berühmten Amsterdamer Theatermacher und seinem Team nicht zu nahe treten. Doch offen gesagt: ich fand die Konzeption ziemlich abwegig und noch dazu handwerklich recht dürftig gemacht. Die Regie lässt die Solisten durchweg von der Rampe singen. Mit einer Ausnahme: im letzten Akt dürfen sie von einem Podium singen, und im Finale da können sie – trotz Podium – gerade noch über die Spieße der tibetanischen (?) Krieger gucken. Der Massenchor darf im zweiten und im dritten Akt mal von rechts, mal von links über die Bühnen rennen. Ein Glück für die Chorsänger, dass sie dabei nicht außer Atem kommen. Dafür durften sie  sich im ersten Akt auch  ausruhen. Dort sitzen sie in Viererreihen übereinander, in schwarze Kutten gehüllt, vor einer schwarzen Wand. Meditationsstunde im Buddhistenkloster? Oder Femegerecht beim Käthchen von Heilbronn?

Von allen Szenen schien mir nur eine einzige (und diese hat noch dazu mit der Buddhismus Masche nichts zu tun) gelungen: das Finale des zweiten Aufzugs. Eine überforderte und verzweifelte Elsa, die weiß, dass sie ihr Versprechen: „Hoch über alles Zweifels Macht … soll meine Liebe stehn!“ nicht halten kann, bricht beim Kirchgang zusammen.

Ansonsten immer wieder steifes Herumstehen für die Solisten und Herumrennen für den Chor. Allenfalls die Tierschützer dürften an dieser Inszenierung ihre Freude gehabt haben. Es  gab weder lebendige noch tote noch hölzerne Schwäne. Dafür ein Wägelchen mit Paddeln. War das nun alles, so habe ich mich am Ende gefragt, Ironie, Parodie, Satire oder war es erst gemeint?  Ich fürchte letzteres.

Wir haben in den letzten Jahren im Amsterdamer Muziektheater eine ganze Reihe herausragender Inszenierungen gesehen: den Ring, Lucia, Iphigenie, Eugen Onegin, Faust und noch manches andere. Umso größer war die Enttäuschung jetzt beim Lohengrin. Doch als sonst immer begeisterte Besucherin des Amsterdamer Hauses kann man auch mal eine misslungene Inszenierung verkraften.

Es bleibt immerhin die Musik, der Wagnersound, und den bereiten Maestro Albrecht und das „Nederlands Philharmonisch Orkest“ brillant und ‚rauschhaft‘, eben wie es dem hohen Niveau des Hauses entspricht. Dass in Amsterdam Stars der internationalen Opernszene singen und agieren, das versteht sich von selber.

Wir sahen die Aufführung am 23. November, die vierte Vorstellung im Rahmen der Wiederaufnahme einer Inszenierung vom Jahre 2002.

 

 

Die Hölle ist das Forschungslabor. Gounod, Faust am Muziektheater Amsterdam

Ich bin nicht gerade ein Gounod Fan. Natürlich: die Juwelenarie der Marguerite, die ist schon ein Juwel des Belcanto. Und die Ballade vom König in Thule und Valentins Gebet und das Duett Faust-Marguerite im dritten Akt und die Kirchenszene und so manches andere. An ‚Ohrwürmern‘ mangelt es wirklich nicht. Doch die Ballettmusik im fünften Akt und die Marschmusik zu Valentins Auftritt? Ist das nicht ein bisschen sehr abgedroschen? Mag sein, dass die Musikhistoriker anderer Meinung sind. Und wenn wie jetzt in Amsterdam Marc Minkowski dirigiert, klingt dann alles ganz anders? Vielleicht. Ich kann das nicht beurteilen, genieße das Gefällige und Eingängige und ertrage das Abgedroschene.

Ungewöhnlich und spektakulär ist in jedem Fall die Inszenierung, die Àlex Ollé von La Fura dels Baus präsentiert. Da gibt es nicht die süßliche, leider übel ausgehende Mär von der kleinen Marguerite und dem Doktor. Da ist aus dem ältlichen Doktor Faust ein dynamischer junger Professor der Biochemie geworden, der an einem Homunkulus Projekt arbeitet und der den Satan zu Hilfe ruft. In der Figur eines Popsängers stellt dieser sich auch sogleich ein. Alles, was dieser dem Professor zeigen wird, das sind Figuren, die aus menschlichen Körperbauteilen zusammengeklont, aus Ersatzteilen zusammengebaut sind. Das, was der Professor allenfalls konstruieren wird, das sind Barbiepuppen und roboterhafte Kampfmaschinen. Einzig Marguerite ist eine authentische Figur – die Figur, die er sich im Labor konstruieren wollte. In diesem Sinne ist es nur konsequent, dass Méphistophélès, der sich inzwischen in den Assistenten im Business Dress verwandelt hat, Faust im Finale  Marguerite unter den Homunkulus Präparaten im Labor wiederfinden lässt. Marguerite ein Produkt der Experimentierfreudigkeit des Professors, für den es keine Grenzen gibt. Und konsequent ist es auch, dass der angebliche Satan Faust nicht in die traditionelle Hölle stürzt, sondern ins Labor einschließt und dessen Platz als Leiter des Projekts übernimmt. Die Menschenexperimente gehen weiter.

Eine Variante des Faustmythos, die furios in Szene gesetzt wird, in der ein spektakulärer Auftritt den anderen jagt, eben grandioses Theater in der Tradition von La Furia dels Baus, Theater, das zugleich fasziniert und unterhält.

In Amsterdam, sei es nun der Ring oder Lucia di Lammermoor oder seien es die beiden Gluck Iphigenien oder sei es wie jetzt der Faust, im Muziektheater Amsterdam wird in Szene und Musik großes Musiktheater geboten. Eine Reise nach Amsterdam lohnt alle Male.

Wir sahen die Vorstellung am 23. Mai 2014. Die Premiere war am 10. Mai 2014.

 

 

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Mater Dolorosa auf dem Hexensabbat. Lucia di Lammermoor im Muziektheater Amsterdam

Bei Donizetti, so weiß man es doch bis zum Überdruss, braucht es zwei oder drei große Belcanto Stimmen, und ein erfolgreicher Opernabend ist garantiert. Wenn wie jetzt in Amsterdam alle vier tragenden Rollen höchst brillant  besetzt  sind  und dann noch dazu die Regie über eine tragende, schlüssige und einsichtige Konzeption verfügt, dann ist fürwahr italienische Oper vom Allerfeinsten zu erleben.

Die Geschichte der armen Lucia als Traumerzählung oder Wahnvorstellung in Szene zu setzen, das ist zwar nicht unbedingt originell. Das ist ein Ansatz, der sich fast von selber anbietet. Doch mit welcher Konsequenz dieser Lucia Albtraum in Amsterdam auf die Spitze getrieben wird, das ist schon sehr beeindruckend: eine schon moribunde, verstörte Lucia, von Kostüm und Haartracht eine Präraffaelitin, wacht in einem großen Bett auf, das mitten in einer Art Empfangssaal steht. Um ihr Bett herum sind ihr ähnliche, lebensgroße, halb zerstörte Puppen gruppiert. Lucia erlebt ihre unglückliche Liebesgeschichte als eine Art Hexensabbat: der schwarz gelockte, schöne Jüngling Edgardo ähnelt einem gefallenen Engel. Und wenn er Lucia zum Abschied aufs Bett drückt, dann ereignet sich keine romantische Liebesszene. Dann wiederholt sich Füsslis Nachtmahr. Der romantische Liebhaber  als Luzifer und Macho und – nicht genug damit – als Incubus? Der Pfarrer, der Lucia zur Hochzeit drängt, vom Outfit her ein anglikanischer Priester, agiert wie ein lüsterner Mephisto. Nur konsequent ist es dann, dass die Hochzeitsgesellschaft, in ihren grotesken Masken wohl auf dem Weg zur Walpurgisnacht, Lucia nicht als Braut, sondern als Schwarze Witwe einkleidet und als pervertierte Mater Dolorosa im Triumphzug mit sich führt.… → weiterlesen

„Ein Märchen aus uralten Zeiten…“ Eine Wiederaufnahme des Siegfried am Muziektheater Amsterdam

Der Anfang ist, wie schon bei der Walküre, spektakulär. Es gibt keine Guckkastenbühne und keinen Orchestergraben. Das Orchester ist auf der Bühne platziert, besetzt den halben Bühnenraum und musiziert die ersten Takte des Vorspiels im Dunklen. Aus der Unterbühne taucht ein Wesen auf, das sein Gesicht mit einer Perücke verhüllt: Mime, eine Art Hobbit, der aus der „Erde Tiefe“ heraufsteigt. Spielfläche ist der teils mit Glasbausteinen, teils mit Betongittern überdeckte Orchestergraben sowie die rechte Hinterbühne. Außer ein paar traditionellen Requisiten wie Feuer, Schwert und Amboss, Mimes Bett, auf dem sich Siegfried lümmelt, ein paar Flaschen, aus denen der „garst’ger Zwerg“ seinen Gifttrank mischt, gibt es nichts. Noch minimalistischer geht es im zweiten und dritten Aufzug zu. Der „Waldvogel“ turnt am oberen linken Bühnenrand in einem schlauchartigen Käfig herum, und ein Knabensopran singt und spielt das „liebe Vöglein“. Einen Walküre-Felsen gibt es nicht. Die schlafende Walküre wird auf einer Art Klinikbett hereingefahren.

Wie schon in der Walküre will die Regie (Pierre Audi) auch im Siegfried kein Welterklärungsmodell anbieten und verzichtet auf jegliche ideologische Botschaft. Sie erzählt uns mit Anleihen an die Fantasy-Literatur einfach „ein Märchen aus uralten Zeiten“. Ein Märchen, in dem Mime und Alberich  als Hobbits erscheinen, Fasolt ein zu Stein gewordener Riese und Wotan ein fernöstlicher Priester ist. Brünnhilde in ihrem langen roten Kleid und mit schwarzem langem Haar ist ein veritable  Märchenprinzessin, ein erwachsen gewordenes Schneewittchen, und Siegfried  in seinem Wildleder Outfit könnte geradewegs einem Western entsprungen sein. Doch all dies ist gar nicht so wichtig. Mit wenigen Mitteln, ganz auf die Personenregie konzentriert, auf das Spiel der Sängerdarsteller, die geradezu in Tuchfühlung mit den Zuschauern agieren und diese gleichsam in das Geschehen mit einbeziehen, gelingt der Regie faszinierendes Theater.

Im Amsterdamer Muziektheater – und jetzt zitiere ich, was ich zur Walküre geschrieben habe, denn es gilt uneingeschränkt auch für den Siegfried – „wird unter der Leitung von Maestro  Hartmut Haenchen so brillant, so phantastisch gesungen und musiziert, das alles übrige sekundär ist, im Wortverstande zur quantité négligeable wird.  Ein ungewöhnlich gelungener Wagnerabend, an dem es nichts zu bekrittel gibt. Wenn es sich nicht so abgegriffen und so pathetisch anhörte, könnte man auch sagen: ein rauschhafter Wagnerabend mit einer mehr als herausragenden Besetzung“.

Wir sahen die Aufführung am 12. September, die dritte Vorstellung  nach der Wiederaufnahme am 31. August 2013.  Die Premiere war am  1. Juni 1998.

 

Und Herr von Stolzing macht den Lohengrin und nimmt Eva gleich mit, und dem Sachs bleibt der Brautkranz. David Alden inszeniert Die Meistersinger von Nürnberg am Muziektheater Amsterdam

In den aus heutiger Sicht schon legendären Zeiten, als Peter Jonas Intendant der Bayerischen Staatsoper und David Alden sein Hausregisseur war, da haben wir viele Arbeiten Aldens  gesehen: Rinaldo, Ariodante, La Forza del Destino, Tannhäuser, den Ring. Inszenierungen, die uns stets faszinierten und begeisterten. So sind  wir denn als Alden Fans  nach Amsterdam gefahren, um seine Meistersinger Version zu sehen. Und es hat sich gelohnt. Der David Alden Stil ist noch immer unverkennbar und fasziniert noch immer: die Deutungen gegen den Strich, die gern ironisch gebrochenen Film-, Literatur- und Bildzitate, das Spiel mit  Zeiten und Epochen. Alden Inszenierungen fordern den Zuschauer. Sie sind, um es vornehm auszudrücken, ein Appell an Intellekt und kulturelles Gedächtnis des intermedial versierten Zuschauers. Dieser idealtypische Zuschauer, der alle Verweisungen und vor allem die Varianten der Verweisungen  zu erkennen, einzuordnen und zu goutieren weiß, der bin ich leider nicht. Doch das wenige, was ich erfasse, genügt wohl schon, um die subtile Anlage der Inszenierung zu erkennen, eine Inszenierung, die  die komödiantischen Elemente des Libretto aufgreift, verstärkt und hin zur Parodie und zur Satire steigert und mit einer Fülle von Verweisungen arbeitet.… → weiterlesen