Lucia in Hollywood. Ein Belcanto-Fest bei den Münchner Opernfestspielen

Mit Diana Damrau in der Titelrolle, mit Pavol Breslik als Edgardo und Dalibor Jenis als Enrico präsentiert die Bayerische Staatsoper eine Lucia di Lammermoor der Spitzenklasse, Opernkulinarik vom Allerfeinsten. Da ist alles perfekt, alles grandios, da gibt es nichts zu bekritteln. Wenn die Operndiva die Wahnsinnsszene singt und gestaltet und wenn Edgardo von der „bell’alma innamorata“ todessüchtig schwärmt, dann gerät das Publikum geradezu aus dem Häuschen. „Orgasmus in der Opernloge“ nannte ein Kritiker  einmal diesen vom perfekten Belcanto verursachten  Zustand – und da hat er wohl Recht.

Wir im Publikum lieben halt alle den Opernkitsch, diese Geschichten von Herz und Schmerz, von Liebe und Tod, bösen Buben, leidenschaftlichen Geliebten und törichten Liebhabern. Vielleicht weil wir alle ein bisschen von Emma Bovary und ihren Schwärmereien angesteckt sind. Ist doch die Lucia, so wissen es die Dramaturgen – und wir im Publikum wissen es inzwischen auch – die Lieblingsoper der Emma und ihrer unzähligen Wiedergänger beiderlei Geschlechts.… → weiterlesen

Mater Dolorosa auf dem Hexensabbat. Lucia di Lammermoor im Muziektheater Amsterdam

Bei Donizetti, so weiß man es doch bis zum Überdruss, braucht es zwei oder drei große Belcanto Stimmen, und ein erfolgreicher Opernabend ist garantiert. Wenn wie jetzt in Amsterdam alle vier tragenden Rollen höchst brillant  besetzt  sind  und dann noch dazu die Regie über eine tragende, schlüssige und einsichtige Konzeption verfügt, dann ist fürwahr italienische Oper vom Allerfeinsten zu erleben.

Die Geschichte der armen Lucia als Traumerzählung oder Wahnvorstellung in Szene zu setzen, das ist zwar nicht unbedingt originell. Das ist ein Ansatz, der sich fast von selber anbietet. Doch mit welcher Konsequenz dieser Lucia Albtraum in Amsterdam auf die Spitze getrieben wird, das ist schon sehr beeindruckend: eine schon moribunde, verstörte Lucia, von Kostüm und Haartracht eine Präraffaelitin, wacht in einem großen Bett auf, das mitten in einer Art Empfangssaal steht. Um ihr Bett herum sind ihr ähnliche, lebensgroße, halb zerstörte Puppen gruppiert. Lucia erlebt ihre unglückliche Liebesgeschichte als eine Art Hexensabbat: der schwarz gelockte, schöne Jüngling Edgardo ähnelt einem gefallenen Engel. Und wenn er Lucia zum Abschied aufs Bett drückt, dann ereignet sich keine romantische Liebesszene. Dann wiederholt sich Füsslis Nachtmahr. Der romantische Liebhaber  als Luzifer und Macho und – nicht genug damit – als Incubus? Der Pfarrer, der Lucia zur Hochzeit drängt, vom Outfit her ein anglikanischer Priester, agiert wie ein lüsterner Mephisto. Nur konsequent ist es dann, dass die Hochzeitsgesellschaft, in ihren grotesken Masken wohl auf dem Weg zur Walpurgisnacht, Lucia nicht als Braut, sondern als Schwarze Witwe einkleidet und als pervertierte Mater Dolorosa im Triumphzug mit sich führt.… → weiterlesen

„O bell’alma innamorata…“ Lucia di Lammermoor an der Bastille Oper

Beim Belcanto, bei Bellini- und Donizetti- Aufführungen, so hatte ich es mir schon so viele Male notiert, da braucht man nur drei brillante Sänger – und alles andere ist egal. In Paris, bei der Lucia,  da brauchte man nur eine einzige Sängerin: Patrizia Ciofi als Lucia, und alles andere wird zur quantité négligeable. Zwar waren auch in Paris die Rollen des (ach so machohaften) Edgardo und des bösen Bruders exzellent besetzt. Doch die Lucia der Ciofi  hat sie beide zu Nebenfiguren gemacht, hat sie in Gesang und Spiel bei weitem übertroffen. Wie Patrizia Ciofi in Kostüm und Maske einer präraffaelitischen Schönheit die Lucia gestaltet, war so brillant, so faszinierend, wie ich es wohl noch nie in solcher Perfektion gehört und gesehen habe. Hier gilt wirklich das so abgegriffene Wort von der Primadonna Assoluta, die ihr Publikum verzaubert – und dies vom ersten bis zum letzten Auftritt: von der Kavatine im ersten Akt, über das Liebesduett mit Edgardo und das Schmerzensduett mit Enrico bis hin zur Wahnsinnsszene. Besser, so denkt man, geht es einfach nicht. Und dabei macht  es die Regie der Sängerin nicht gerade leicht. Sie muss auf Schaukeln steigen, auf Sportgeräte  und halsbrecherische Gerüste klettern, zur Wahnsinnsszene aus einem umgestürzten Zelt kriechen und sich in Strohhaufen wälzen und sonst noch allerlei Mätzchen machen.

Spielort ist der Turnsaal eines Militärgefängnisses, der sich je nach Bedarf in einen Massenschlafsaal oder auch in einen Festsaal verwandeln lässt.  Ein Saal, der auf halber Höhe von einer runden Tribüne begrenzt wird. Von der Höhe senken sich Stahlgerüste, auf denen Statisten und Solisten herum klettern dürfen.  Eine recht billige Symbolik: die Protagonisten sind halt in ihrer Leidenschaft, aus der es keinen Ausweg gibt, gefangen. Und die Schaukel? Auch hier sind die Referenzen mehr als deutlich: die Schaukel als Liebessymbol. Die französischen Bildungsbürger werden sich Fragonard erinnern, die deutschen an Effie Briest. Und die klassisch Gebildeten werden sich vielleicht an antike Amphoren mit Dionysos auf der Schaukel erinnern. Aber das ist alles gar nicht so wichtig. Dass die Inszenierung, die wir in Paris gesehen haben, schon seit knapp zwanzig Jahren läuft, dass wir die fünfzigste Aufführung in dieser Inszenierung gesehen haben, was tut’s schon. In der Bastille Oper  haben  wir am 6. Oktober 2013 Belcanto gehört, wie er ‚schöner‘ wohl nicht geboten werden kann.

 

 

 

Die Schmerzensmadonna der romantischen Liebe – eine höchst brillante Lucia di Lammermoor in der Staatsoper Stuttgart

Olga Motta, die für Regie, Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, hat sich wie schon vor ein paar Jahren bei ihrem Lucio Silla auch jetzt bei der Lucia für eine manieristische Grundkonzeption entschieden. Manieristisch in dem Sinne, dass auf jedwede Referenz auf eine wie auch immer geartete Wirklichkeit verzichtet wird und alles Geschehen sich in einer Welt des Traums und der Bildzitate ereignet. Über dieses Konzept wird der Zuschauer von Anfang an nicht im Zweifel gelassen. Die offene sich perspektivisch erweiternde Bühne  ist in bläuliches Licht gehüllt: die traditionelle romantische Farbe des Traums und der Illusion. Im Hintergrund leuchtet eine Art Mondscheibe, die immer wieder changiert und mal an ein Weltraumbild der Erde erinnert, mal Caspar David Friedrichs Fliegende Eule vor dem Mond evoziert. Edgardo scheint in seinem schwarzen Biedermeierkostüm geradezu Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer nachgestaltet zu sein. Lucia kriecht zu ihrem ersten Auftritt aus dem Sockel einer Schmerzensmadonna. Die Signale an die Zuschauer sind schon überdeutlich: ein Liebender, der von all dem, was ihm geschieht nichts begreift, der gleichsam im Nebel herumstochert, eine Liebende, die von Anfang an zum Leiden und zum Tode verurteilt ist. Die Regie nutzt die Bildzitate immer wieder für symbolische Gesten, für Gesten, die das jeweilige Geschehen verdichten und konzentrieren. Wenn der Bruder von Lucia verlangt, sie solle sich für die Familie aufopfern, dann agieren die Figuren vor einem  Altarbild, und die in ihrem Leiden verspottete Lucia steht gleichsam als Heilige in der Imitatio des sich aufopfernden  Christus. Ich muss gestehen, dass ich das Bild, das in dieser Szene zitiert wird: Fra Angelico: Die Verhöhnung Christi nur mit Hilfe des Programmhefts erkannt habe. Und das gleiche gilt auch für das Motiv der roten Stöcke. Wenn die Hochzeitsgesellschaft mit langen roten Stöcken herumfuchtelt, den Hochzeitstisch mit diesen Stöcken durchbohrt, die jetzt blutrot gewordenen Tischtücher zusammenlegt, dann sind die freudianischen Assoziationen, mit denen Lucias Hochzeitsnacht mit- und nachgespielt wird, mehr als überdeterminiert. Doch dass das Motiv der Stöcke ein Bildzitat aus einem Kriegsgemälde von Paolo Uccello ist und damit gleichsam als Dingsymbol auf den Streit zwischen der verfeindeten Familien verweist, das erschließt sich für mich wiederum nur mit Hilfe des Programmhefts. So mag es noch  manch anderes Bildzitat geben, das mir entgangen ist. Aber eigentlich ist das gar nicht so wichtig. Das Vergnügen war auch ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn schon groß genug. Die Inszenierung mit ihrer Fülle der Bildzitate, dem albtraumhaften Biedermeierambiente, das sie evoziert, mit ihrer Stilisierung der Protagonistin zur Heiligen der ‚Liebe als Passion’ ist zweifellos brillant und beeindruckend. Doch noch beeindruckender ist das Ensemble, das in Stuttgart auf der Bühne singt und agiert. Phantastisch, grandios wird in den großen Rollen  gesungen und gespielt. Doch Ana Durlovski in der Titelrolle übertrifft in Spiel und Gesang und nicht zuletzt auch als Bühnenerscheinung noch einmal alle anderen Mitwirkenden. Es mag ja sein, dass in Zürich noch eine bessere Belcanto Sängerin zu hören ist. Doch in ihrem hingebungsvollen Spiel, in ihrer anrührenden Erscheinung, in ihrer Gestaltung des sich immer mehr steigernden Wahns, da ist die Stuttgarter Lucia wohl kaum zu übertreffen. – Wir sahen die Vorstellung am 9. Januar 2010. Es war die neunte Aufführung seit der Premiere am 3. Oktober 2009.

29. 03. 09 Szenen aus dem romantischen Poesiealbum. Lucia di Lammermoor am Aalto-Musiktheater

In Essen ist eine richtig schöne romantische Lucia zu sehen mit einer Sängerin in der Titelrolle (Petya Ivanova), die mit ihrer so ‚glockenklaren’, so einfühlsamen Stimme, sagen wir besser: mit ihrem Belcanto die Zuhörer  entrückt und die in Erscheinung und Auftreten geradezu eine Lucia wie aus dem Traumbuch der Romantiker ist. Auch der so fordernde und zugleich so verzweifelte Liebhaber und der böse Bube von Bruder können in Gesang und Spiel durchaus mithalten. Und das düstere Bühnenbild mit seinen Ruinen von Burgen und Kirchen bedient nicht minder die romantischen Klischees, wie man sie von Caspar und David Friedrich und William Turner kennt. Romantik pur in Essen. Wir haben die Lucia unlängst als billige Aktualisierung in Frankfurt gesehen – und uns mehr als geärgert.

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