Kitsch im Doppelpack oder vom „Dichter der Liebe und des Volkes“. Il Postino von Daniel Catán am Theater an der Wien
„Eine Oper auf Spanisch“, so lässt er uns im Programmheft wissen, wollte Daniel Catán, in Personalunion Komponist und Librettist, schaffen. Herausgekommenen ist dabei eine Art Zarzuela Verschnitt ohne happy end, ein Gebräu aus zuckrigem altehrwürdigem Puccini Sound, bei dem der Sirup nur so von der Bühne heruntertropft und im Publikum den Damen mittleren Alters vor lauter Rührung die Tränen kommen. Kitsch Nummer eins: die Musik. Kitsch Nummer zwei das Libretto. Da hat doch der kleine Postler (il postino) den großbürgerlichen Literaten Neruda kennen gelernt, der auf einer kleinen Insel im Mittelmeer sein luxuriöses Exil erleidet, Liebesgedichte schreibt, die nackte Schönheit seiner Geliebten preist und diese gleich in der ersten Szene mit Worten und Händen entkleidet. Zwar meinte einstens ein gewisser Mallarmé, dass man Gedichte mit Worten mache. Aber – so haben wir jetzt gelernt – auf dem Theater braucht man dazu auch die Hände und natürlich eine attraktive Muse. Der arme Postler erfährt im Zusammensein mit dem großen Poeten etwas von der Macht der „metáfora“. Oder sagen wir besser: er erfährt etwas von der Macht der „Fragments d’un discours amoureux“, davon, dass sich mit schönen Worten eine schöne Frau erobern lässt und das erst recht, wenn diese Beatrice heißt. Und all dieser Brei, der da aus Materialien des gleichnamigen Erfolgsfilms zusammengerührt wird, der sei, so meinte mancher im Publikum, so richtig ‚romantisch’. Leider ist dem nicht so. Auf der Bühne wird trotz all der schönen Neruda Verse, die da zitiert werden, nur Nichtauthentisches produziert. Mit anderen Worten: Kitsch. Ein heiterer süßlicher Kitsch indes. Eine Geschichte von junger Liebe verbunden mit der Geschichte von der patriarchalisch herablassenden Freundschaft des großbürgerlichen linken Intellektuellen zu einem armen naiven Schlucker, der mit Hilfe der schönen Worte, die der Intellektuelle zu produzieren weiß, sein Mädchen kriegt. Ein schöner, ein scheinbar ungefährlicher Kitsch, dieser Kitsch Nummer zwei. Ärgerlich ist nur, dass der Librettist auch noch den Revolutionskitsch hineinrühren musste. Dem kleinen Freund des großen Literaten wird nicht nur eine Einführung in die Sprache der Liebe, sondern auch ein Crashkurs in Revolutionsrhetorik zuteil. Und die Folgen sind fatal, nein: letal. Der Postino wird bei einer Demonstration, als er gerade ein Gedicht zu Ehren seines großen Freundes zitieren will, von einem der Schwarzhemden erschossen. Und der Intellektuelle (der Verführer? der Mentor?) steht, als er Jahre später die Nachricht vom gewaltsamen Tode seines kleinen Freundes erfährt, nur betroffen herum. Revolutionskitsch? Ich denke schon. Wie dem auch sei. Im Theater an der Wien ist ein etwas betulicher, doch noch immer brillant singender Plácido Domingo in der Rolle des Poeten Neruda zu bewundern, ein Domingo, mit dem Amanda Squitieri als Beatrice und Israel Lozano als Postino durchaus mithalten können. Vom Produktionsteam mag man das nur mit Zurückhaltung sagen. Jegliche Ironie, mit der sich die Süßlichkeit der Musik und die Pseudoromantik des Librettos zumindest ein wenig konterkarieren ließen, liegt diesem gänzlich fern. So wurde denn in aller Biederkeit, in durchaus gekonnter Biederkeit, ein naives Opus für sentimentale Seelen in Szene gesetzt. Ein schöner Abend, ein heiterer Abend. Eine Musik – die Uraufführung war im Jahre 2010 (!) – die keinerlei Ansprüche an den Zuhörer stellt. Eine Inszenierung, die den Zuschauer nicht verärgert. Ein Star auf der Bühne, den man schon immer einmal live erleben wollte. Und bei der Oper muss es ja nicht immer gleich Wagner oder Strauss oder Henze sein. Manchmal tut es auch ein Daniel Catán. Wir sahen die Vorstellung am 18. Dezember 2010. Die Premiere, die „europäische Erstaufführung“, war am 9. Dezember.