In Paris waren am vergangenen Wochenende zwei schon legendäre Inszenierungen noch einmal zu sehen: die Romeo und Julia Version Bellinis in der Regie von Robert Carsen vom Jahre 1996 und Peter Sellars Tristan und Isolde vom Jahre 2005. Zwei Inszenierungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Bei Carsen Ausstattungs- und Dekorationstheater im Stile eines Zeffirelli. Bei Sellars Minimalismus auf der Szene und dazu eine grandiose Bill Viola Video Show, die eigens für diese Inszenierung geschaffen wurde. Kein Zweifel, dass beide Inszenierungen in ihrer Art hinreißend sind, perfekte szenische Kunstwerke sind. Ich muss indes gestehen, dass die Carsen Inszenierung nicht mein Fall ist und dass diese nach simplem Rezept montierten Grand Opéra Spektakel mir démodé und obsolet und langweilig noch dazu vorkommen: man steckt die Sänger in prachtvolle und teure Renaissance Kostüme, stattet sie alle mit langem Degen aus, auf dass sie Fechtszenen andeuten können, lässt sie vor und in opulenten Kulissen ihre Arien singen, fordert sie kaum als Schauspieler. Und das war es schon. Und flugs sind wir wieder in Opas Opernmuseum.
Ganz so schlimm war es in der Bastille Oper nun nicht, denn Regie und Ausstattung hatten für die Kunsthistoriker und deren Adepten unter den Zuschauern einige Leckerbissen bereit gestellt, ihnen Wiedererkennungserlebnisse angeboten. Da wurde wohl in den Kostümen Botticelli zitiert, in Kampfszenen im Finale des ersten Akts wohl Paolo Uccellos Schlacht bei San Romano oder auch Davids Schwur der Horatier. Und im letzten Akt, wenn sich Giulietta blitzschnell erdolcht und dabei theatralisch gen Himmel blickt, da sind wir recht nahe bei den Karikaturen eines Honoré Daumier. Ein Anflug von Ironie? Signalisiert die Regie dem Publikum im Finale, dass dieses Mélodrame, das sie da so aufwendig in Szene gesetzt hat, doch nur ein Spiel ist, dass das, was zählt, doch eigentlich der wundersüße Belcanto eines Bellini ist und die Regie doch letztlich nur eine quantité négligeable ist? Vielleicht. Allgemeine Begeisterung im Publikum. Für Auge und Ohr wurde ja auch Schönes geboten. Und Mitdenken war nicht gefragt.
Wir sahen die Vorstellung am 3. Mai 2014, die – laut Programmheft – 29. Aufführung dieser Inszenierung.
Und Tristan und Isolde? Ein Produktionsteam der großen Namen. Peter Sellars: Inszenierung, Bill Viola: Création vidéo. Philippe Jordan am Pult. Auf der Bühne mit Robert Dean Smith und Violeta Urmana Wagnerheroen, die man schon so viele Male in den großen Rollen gehört und gesehen hat. Die Erwartungen sind dem entsprechend hoch. Und die Enttäuschung ist – zunächst – groß. Nein, ich meine nicht die Musik, den Orchesterklang. Vom ersten Takt an ist eine Tristan Musik zu hören, wie man sie sich nicht schöner und eingängiger – warum sagen wir nicht: rauschhafter – vorstellen kann. Ein Orchesterklang, der vom Anfang bis zum Ende den Zuhörer gleichsam umgarnt und in Bann schlägt. Ich meine, wenn ich von anfänglicher Enttäuschung spreche, auch nicht die Sänger, die sich so eigentümlich zurückhalten und die – im Wortverstande – immer wieder in den Schatten treten. Eine Zurückhaltung, die sich im Laufe des Abends als folgerichtig, als Teil des Inszenierungskonzepts erweist.
Enttäuschend sind zunächst die Inszenierung und die Videoshow: eine vollkommen schwarz ausgekleidete Bühne, die im Halbdunkel gehalten wird. Einziges Requisit (in allen drei Akten) ist eine schwarz umhüllte Bank: Ort der Ruhe, der Liebe und des Todes. Brautbett und Totenbett zugleich. Die Videos, Bill Violas berühmte bewegte und sich bewegende Bilder, scheinen das Geschehen, die Meerfahrt, nur illustrieren zu wollen. Ein erster Eindruck, der sich als vollkommen fehl am Platze erweist. Die anfängliche Enttäuschung wird im Laufe des Abends einer immer größer werdenden Faszination weichen. Die Videobilder – sie illustrieren zwar auch, zeigen das Meer, die Felsenküste, eine arkadische Landschaft – doch vor allem erzählen sie eine Parallelgeschichte, erzählen von der rituellen Selbstaufopferung zweier Liebenden, erzählen vom Selbstmord des Paares im Meer, kehren im Finale zu Tristan und Isolde zurück und zeigen das „Ertrinken, Versinken“, das Eins-Werden mit „des Welt-Atems“ als ein Schweben und Aufsteigen der Körper im bläulich schimmernden Wasser. Ganz im Sinne des Novalis und seiner Vorstellung vom Wasser als „dem ewigen Element luftiger Verschmelzung“. Kitsch? Ergreifender Kitsch? Eine Hommage an die Kunst Bill Violas – so hatten wir den Pariser Tristan genannt. Es ist mehr. Der Zuschauer und Zuhörer erliegt gleichsam dem Zauber der Bilder. Sie dominieren letztlich alles. Und am Ende glaubt man, über Stunden in einem Bill Viola Museum mit verführerischem Wagner-Soundtrack gewesen zu sein. Ein Tristan als intermediales Spektakel. Eine grandiose Aufführung.
Wie schade, dass die Pariser Oper diese so ganz ungewöhnliche Inszenierung aus dem Repertoire nehmen wird. Wir sahen die „Dernière“ am 4. Mai 2014.