Carmencita und Joselito. Zur Wiederaufnahme der Carmen in der Kölner Oper
Wo ist denn eigentlich die Erotik, wo findet sich denn eigentlich die Passion in der Carmen? In der Habañera? In der Blumenarie? Im Schlussgejammer des armen José? Im Toreromarsch? Oder vielleicht im Hüftschwung der Sängerin? Vielleicht auch in den langen Beinen der Sängerin? Das ist doch alles nur Kleinbürger- und Spießererotik, was sich da auf der Bühne tut und was da aus dem Orchestergraben schallt. Ja, ich weiß, der alte Nietzsche, dieser hinterhältige Ironiker, stellt in seiner Abrechnung mit Wagner Bizet weit über Wagner. Bizets Musik „scheint mir vollkommen. Sie kommt leicht, biegsam, mit Höflichkeit daher“. Mit Verlaub: ich halte es da allemal lieber mit dem Wagnerschen Orchesterklang. Mag der Philosoph diesen auch einen „Schirokko“ nennen, der ihn zum Schwitzen bringt. Wo ist die Erotik in der Carmen? Bei der Kölner Carmen Aufführung fand sich die Erotik im Zuschauerraum. Das Haus war voller Schulklassen. Lolitas im Massenaufgebot, denen wohlmeinende Musiklehrerinnen wohl eingeredet hatten, Carmen sei Amore pur. „Und wie fandst Du das?“ – „Langweilig, langweilig“ – so die Vierzehnjährige neben mir. Und Lolita hat Recht. Die Inszenierung, eine Wiederaufnahme einer Produktion eines berühmten Theatermachers, die vor mehr als zehn Jahren Premiere hatte, war Langeweile pur. Hundert Klischees – hier aus dem Spanien Tourismusbuch der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts – werden durch ihre bloße Aneinanderreihung noch nicht zum Ereignis, auch wenn uns dies ein gewisser Professor und Literat aus Bologna weismachen will. Hundert Klischees produzieren nichts anderes als Langeweile. Ja, natürlich ist der Traumdiskurs nach der Pause ein hübscher Einfall, ist die Militarysatire im ersten Akt unterhaltsam, macht das geschlitzte rote Kleid, das die Carmencita bei ihrem ersten Auftritt trägt, etwas her. Aber wenn dann die Chorsängerinnen, die durchweg dem Teenyalter entwachsen sind, im kurzen schwarzen Unterkleidchen auf verrucht machen, ja dann kommt einem nur noch das Gähnen. In Ihrer Kölner Carmen Inszenierung, sehr geehrter Herr Loy, da haben Sie zweifellos das Altenheim begeistert („Auf Ibiza da war der Kellner auch immer eifersüchtig auf die Carmen von der Rezeption. Aber mit dem Messer ist der nicht auf die losgegangen? Oder?“) – ein junges Publikum haben Sie an diesem Abend nicht für die Oper gewonnen. Wie schade. Sie können es doch so viel besser. In Frankfurt, in Ihrer Così fan tutte, da hat sich niemand gelangweilt. Da sind die Lolitas ‚betroffen’ nach Hause gegangen – und so soll es auch sein. Wo ist die Erotik in der Carmen? Fehlanzeige. Erotik? Schlag nach bei Mozart und bei Wagner. Wir sahen die Aufführung am 9. Juli 2010, die laut Besetzungszettel „43. Vorstellung (Premiere am 25. Februar 2000)“.