Alles ist Theater. Jan Bosse und Andrea Marcon machen in Basel aus der Calisto einen grandiosen Theaterabend

Fort mit der traditionellen Guckkastenbühne, fort mit dem Orchestergraben. Schluss mit der Trennung von Zuschauern und Akteuren. In Basel sitzen die Zuschauer auf der Bühne und im Parkett, und Spielfläche sind der zugedeckte Orchestergraben und – das ganze Haus. Die Sänger sitzen durchweg im Publikum, treten von dorther auf, singen und spielen, wo und wie es sich gerade ergib. Hauptspielfläche bleibt indes der zugedeckte Orchestergraben. Das Orchester ist zweigeteilt, sitzt zu beiden Seiten des Grabens. Einziges Requisit ist das Wasser, das als gewaltige Dusche oder als Regenvorhang auf die Sänger herabstürzt bzw. herabregnet, wann immer sie  sie von der Liebe singen – und das tun sie eigentlich ständig. Ach ja, die erotischen Konnotationen der Wassersymbolik, die kennen wir noch aus dem ersten Semester. Heißt es nicht irgendwo bei Novalis: „Das Wasser, dieses ewige Element luftiger (oder meinte er lustiger?) Verschmelzung“. Und natürlich: „Und der Geist Gottes schwebte über den Wassern“ (in unserem Kontext muss es wohl heißen: und Jupiter lässt es regnen – in ambivalenter Hinsicht). Und wer das alles  nicht versteht, für den hat die Regie einen stummen Amor dazu erfunden, der als Spielleiter immer dabei ist, auf dass auch der Einfältigste im Publikum kapiere, um was es in Calisto geht. Und im Finale, da darf das Publikum sogar mitspielen: mit Lämpchen, die in der Pause verteilt werden und natürlich nach der Vorstellung wieder eingesammelt werden, darf es die Sterne markieren, unter die Calisto, die Bärin, versetzt wird.

Ach, welch schöner Theaterabend. Großes Spaßtheater für alle, ein heiter gestimmtes Publikum, das nie weiß, ob der Sitznachbar vielleicht gleich aufspringt und mitspielt oder nur so tut. Brillante Sängerschauspieler, ein hoch motiviertes Orchester. Che divertimento an einem heißen Sommerabend. Und den tollsten (?) Gag hätte ich beinahe vergessen: die Zuschauer sitzen wie einstens die Gläubigen in der Kirche nach Geschlechtern getrennt: die Damen im Parkett, die Herren auf der Bühne, auf dass sie von ihren Ehegespons, ihren Mätressen und Liebhabern getrennt, doch endlich einmal sehen, wie es die Männer mit den Weibern und die Weiber mit den Männern treiben? Oder sollen wir noch einmal erfahren, dass es Passionen nur in der Scheinwelt des Theaters gibt? Viel Lärm um nichts? Wie dem auch sei. Die Basler Theatermacher haben uns glänzend unterhalten. Wir sahen die Vorstellung am 5. Juni 2010. Die Premiere war am 21. Mai des gleichen Jahres.