Inzest mit fatalem Ausgang im Doppelpack. Lydia Steier inszeniert an der Oper Frankfurt Strawinsky, Oedipus Rex und Tschaikowski, Iolanta

Was haben Strawinskys Opernoratorium und Tschaikowskis lyrische Oper gemeinsam? Auf den ersten Blick: gar nichts. Hier die griechische Tragödie vom unschuldig-schuldigen Ödipus. Dort das Märchen von der blinden Prinzessin, die von ihrer Krankheit geheilt wird und die Liebe findet. Und doch – so zeigt Theatermacherin Lydia Steier – gibt es zwischen den scheinbar sich so fern stehenden Stücken Verklammerungen. Ein vom Fatum vernichteter Ödipus wählt, als er seiner Taten einsichtig wird, freiwillig die Nacht der Blindheit. Die blinde Prinzessin wählt, um den Geliebten zu retten, das Risiko des Lichts.

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Der schwarze Satan aus der Fruchtblase bringt Verstörung und Tod. Romeo Castellucci inszeniert Salome bei den Salzburger Festspielen 2018, und Asmik Grigorian triumphiert in der Titelrolle

 

Wenn Theatermacher Castellucci – oder sollen wir lieber sagen, wenn Theatermagier Castellucci seine Theaterkiste aufmacht, dann ereignet sich großes, spektakuläres Theater, dann tun sich neue Sichtweisen auf, dann werden die alten Geschichten neu erzählt, anders erzählt – bis hin zu ihrer Zerstörung, dann wird das Publikum verwirrt und provoziert.

So war es schon bei Castelluccis Brüsseler Parsifal, den wir vor nunmehr sieben Jahren am Théâtre de la Monnaie sahen, einem Parsifal, in dem die Regie jeglichen Erlösungsbrimborium brutal hinweg gefegt hatte. So war es noch provozierender bei Glucks  Orpheus und Eurydike bei den Wiener Festwochen 2014, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit geradezu schamlos eingerissen wurden, wo eine reale Komapatientin zum Objekt der Voyeurs wurde und der Abstieg in die Unterwelt zum Abstieg in die Hölle der Intensivstation wurde, ein Inferno, aus dem kein lieto fine ins Leben zurück  führt.

Auf Provokation und Verstörung hat es Castellucci  auch bei seiner Salzburger Salome angelegt – und dies mit großem Erfolg. Die Szene ist ein geschlossener, ein geradezu klaustrophobischer Raum. Die zugemauerten Galerien der Felsenreitschule sind zu einer Art Klagemauer mutiert, vor der grotesk geschminkte Personen mit roten Gesichtern, in langen schwarzen Mänteln und mit großen schwarzen Hüten in rituellen Bewegungen auftreten. Sind sie alle Talmud Schüler oder vielleicht doch nur Marionetten, die an unsichtbaren Fäden geführt werden. Ein schwarz geschminkter Jochanaan, der selbst von den ersten Parkettreihen her kaum als Person zu erkennen ist, tritt in einer gigantischen Fruchtblase auf. Ist das der Satan selber, der sich als Prophet ausgibt? Oder ist er die Karikatur eines Voodoo Priester, ein Schamane, ein sich lautstark in Szene setzender Krimineller aus der Bronx?… → weiterlesen

Un déjeuner sur l’herbe mit fatalen Folgen: Jewgeni Onegin an der Komischen Oper Berlin

So viele Male haben wir Tschaikowskis „Lyrische Szenen“ nun schon gehört und in den unterschiedlichsten Inszenierungen gesehen. Die einen konzentrieren sich auf die Figur der Tatjana  und stellen diese als die moderne „starke Frau“ heraus. Andere erzählen uns zur unglücklichen Liebesmär die russische Geschichte  bis hin zu Putin gleich mit. Wieder andere wollen vom Leben auf dem Lande gar nichts mehr wissen und verlegen die Handlung in die Zeit des Moskauer Immobilien Booms der Jelzin Zeit. Und wieder andere  machen  aus den „Lyrischen Szenen“ eine Schwulenoper.

All dies sind mögliche Regiekonzeptionen, die –  jede auf ihre Weise – mehr oder weniger verborgene Bedeutungsschichten des Werkes aufdecken. Doch der Onegin, wie ihn Barrie Kosky jetzt an der Komischen Oper  in Szene gesetzt hat, lässt, so scheint es mir, alle anderen Deutungen vergessen, übertrifft sie alle an Poesie und Traum. Hier scheut die Regie  sich nicht, romantische Liebe und Melancholie, Vergeblichkeit und Vergessen in den Mittelpunkt zu stellen und dies alles mit leichter Ironie, mit einer Ironie, die nicht verletzen, nicht bloß stellen will, wieder in Frage zu stellen.… → weiterlesen