Der ‚Tonsetzer‘ Lens war mir bisher unbekannt. Zumindest habe ich bewusst noch nie seine Musik gehört. So kann und mag ich auch dazu nichts sagen. Vielleicht nur, dass die Shell Shock Musik trotz der Gewaltthematik nie laut und schreiend tönt oder gar mit spektakulären Dissonanzen aufwartet, dass sie den Hörer nicht befremden, sondern eher sanft zu sich herüber ziehen will. Ob Lens Britten (der Titel des Stücks lässt es vermuten) zitiert oder variierend zitiert, das kann ich nicht beurteilen. In Brüssel hat Lens bei ausverkauftem Haus sein Publikum fasziniert und begeistert – mit einem fast zweistündigen und pausenlos durchgespielten Einakter.
Der Untertitel des Stücks ist in gleich in mehrfacher Hinsicht irreführend. Statt einer christlichen Totenmesse wird ein Antirequiem, das in der Verfluchung Gottes gipfelt, geboten. Die zwölf Szenen des Stücks haben darüber hinaus nichts mit einem liturgischen Akt gemein. Sie ähneln eher einem Männerballett, einer Tanzcollage, einem Totentanz mit Gesangseinlagen, die allesamt an Lamentationen, an Klagelieder erinnern und die in der Finalszene, dem Gesang des Waisenkindes, das sich verzweifelt nach seinen Eltern sehnt, recht gefährlich dem Kitsch, einem süßlichen Kitsch, nahe kommen.
Aber vielleicht ist dies alles gar nicht so wichtig. Vielleicht haben weder die Gewaltthematik noch die Musik primär den Erfolg, den großen Erfolg, den das Stück in Brüssel hatte, bewirkt. Vielleicht war es vor allem die spektakuläre Tanzcollage, der der Erfolg zu verdanken ist. Ich gestehe gern, dass ’Ausdruckstanz‘, dieser Körperkult, dem sich junge Männer so gern hingeben, mich noch nie sonderlich interessiert hat. Doch wie der Choreograph und Regisseur Sidi Larbi Cherkaoui mit seiner Tanzcompagnie den Albtraum eines Kolonialsoldaten, die Exzesse, die Sehnsüchte, das Leiden und das Sterben der Militärs in Szene setzt, das ist schon höchst brillant gemacht.
Wir sahen am 2. November La Dernière. Die Premiere war am 24. Oktober 2014.