Dass Brittens Version der Thomas Mann Novelle die Kultoper der Feinsinnigen ist, dass Death in Venice sich als hohe Messe der Homoerotik und der Pädophilie – im antiken Sinne des Wortes – hören, sehen und genießen lässt, das ist ein Gemeinplatz. Und dass Death in Venice ein bestimmtes Publikum anzieht, das ist nicht minder ein Gemeinplatz.
Ich muss gestehen, dass ich mir jetzt beim Berliner Tod in Venedig inmitten der so überaus stark vertretenen Gemeinde der homophilen Feinsinnigen etwas fremd vorkam, zumal sich nicht jedermann so kultiviert und – im positiven Sinne – so dekadent gab, wie ich das eigentlich erwartete. Gleich neben mir in der ersten Parketreihe outete sich ein junger Mann als Voyeur und wurde nicht müde, seinen Feldstecher auf die Akteure zu richten. Es waren ja in der Tat auch viele schöne junge Männer – der Darsteller des Tadzio war nicht der einzige – auf der Bühne zu bewundern. Und dass dort ein müder bürgerlicher Literat im Zweireiher, der dem ‚Arbeitsethos‘ verfallen ist, angesichts all dieser männlichen Schönheiten und ihres Körperkults seine ‚verdrängten‘ homoerotischen‘ Neigungen entdeckt, diese auslebt und sich vielleicht dem einen oder anderen im Publikum als Identifikationsfigur anbietet, dies versteht auch, wer die Thomas Mann Novelle und den gleichnamigen Visconti Film nicht kennt.