Biblische Mythen, Erzählungen aus dem Alten Testament, wie sie Händel in Oratorien transformiert hat, sind zur Zeit in den Musiktheatern en vogue und werden, wie zu erwarten, auf höchst unterschiedliche Weise in Szene gesetzt.
In Wiesbaden verfremdet Achim Freyer Jephtha – eine Variante des Iphigenie Mythos: für das Kriegsglück opfert der Anführer seine Tochter – zum japanischen Märchen, zum farbenprächtigen Noh-Maskenspiel. In Paris setzt man auf den Gegenpol. Hier macht Claus Guth in einer Übernahme seiner Amsterdamer Inszenierung aus Händels Oratorium ein Kriegsstück, das sich zum Horrorfilm steigert, präsentiert einen Anführer in seiner Hybris und seinem Kadavergehorsam und sadistische Massen, die sich an den Vorbereitungen zum rituellen Mord an einer jungen Frau weiden.
Jetzt in Wien hat Claus Guth mit seinem Saul eine aktualisierte griechische Tragödie in Szene gesetzt, eine Tragödie, die sich ganz auf die Person des Königs Saul konzentriert – auf dessen immer stärker ausbrechende Wahnvorstellungen. Dieser Saul, der von Anfang an als pathologischer Fall vorgestellt wird, der in einem weiß gekachelten engen Raum hockt, in einer Art Zelle im Irrenhaus, der mit seinen Royals schweigend, brütend, vor sich hin starrend an der Tafel sitzt, der in seinem verdunkelten Palast mit dem Speer in der Hand nach seinem Feind sucht, dem stets einer böser Geist folgt, dieser Saul steht von Anfang an auf verlorenem Posten, hat keinerlei Chancen, sich aus seinem Wahn, seinem Wahnsinn zu befreien.… → weiterlesen