Im Zauberbergsanatorium siecht Marie Theres dahin. Claus Guth inszeniert an der Oper Frankfurt den Rosenkavalier als Mär von Krankheit und Tod und strotzender Jugendlichkeit.

Nein, nicht im Boudoir einer Hochadligen, nicht im Bett der schönen Marschallin beginnt der Rosenkavalier. Die berühmten Eingangsakkorde der Ouvertüre feiern nicht Eros, feiern Thanatos, sind keine Liebesseufzer, sind Todesseufzer. Wenn der Vorhang sich öffnet, sieht der Zuschauer keinen Alkoven, sondern die zahllosen Liegen einer Lungenheilstätte. Er sieht kein Paar in Umarmung, sondern „eine schöne Leich“ am Boden und einen jungen Mann, der auf einer der Liegen hockt und dem Wein zuspricht.

„Wie Du warst…“ für die ach so blasse, so schwächliche, so schwindsüchtige femme fragile Marie Theres war das wohl alles zu viel. Doch sie ist nicht tot – noch nicht. Sie erwacht noch einmal für einen Tag – für die gespielte Zeit – aus tiefer Ohnmacht. Und im Finale da kann sie leicht auf ihren so lebensfrohen, so gesunden Liebhaber zugunsten der nicht minder gesunden „Blonden und Blauäugigen, die den Geist nicht nötig hat“ (Thomas Mann), verzichten. Sie weiß, dass sie den Tot in sich trägt, und Maske und Kostüm – sie ist immer bleich geschminkt und trägt ein weißes langes Kleid – lassen den Zuschauer über ihren Zustand nicht im geringsten in Zweifel. Hier ist die Melancholie eine „Krankheit zum Tode“ – eine unheilbare Krankheit, die nur für Augenblicke verdrängt werden kann.

Den Rosenkavalier, den die gewöhnlichen Theatermacher in ein fälschliches Maria Theresia Ambiente und im 3. Akt in ein Wiener Beisl verlegen, den Rosenkavalier, dieses Paradebeispiel aller Opernseligkeit, in ein Sanatorium für die Reichen und Kranken zu versetzen, geht das denn auf? Ja, es geht auf. Es ist konsequent von der ersten bis zur letzten Szene und fasziniert das Publikum.

In diesem Sanatorium ist nicht nur die Marschallin vom Tode gezeichnet. Hier sind mit Ausnahme des vor Gesundheit und Naivität strotzenden neuen Liebespaars alle Personen von Stand angekränkelt: der hüstelnde und herzkranke Herr von Faninal, der im Sanatorium ein Hochzeitsfest für seine Tochter ausrichten will, der scheinbar so potente Baron, der im Finale als gebrochener Mann von seinem Leopold gestützt und fortgeführt wird. In diesem Sanatorium hat das Dienstpersonal keine andere Aufgabe als die Todkranken zu amüsieren, die Ohnmächtigen aufzulesen, die Toten in den Keller zu schieben, in den Keller, der zugleich als Kneipe dient und in dem der „Herr Baron“ vorgeführt wird. In diesem Keller braucht Octavian keine falschen Gespenster zu engagieren. Die Todkranken, die herumschleichen, sorgen schon von sich aus für Angst und Schrecken. In diesen Keller kommt Marie Theres herab, um Abschied von der Liebe und dem Leben zu nehmen. Und während das scheinbar so glückliche Paar sich davon macht, schleppt sich Marie Theres zu einer Liege und …Ein kleines Mädchen entdeckt die eben Gestorbene. Thanatos nicht Eros gilt der Schlussakkord.

Keine Frage, dass diese ungewöhnliche, geistreiche, verweisungsmächtige Inszenierung nur funktioniert, weil die Regie mit exzellenten Sängerinnen arbeiten kann, die von Gesang und Spiel und Bühnenerscheinung geradezu Idealbesetzungen sind: Amanda Majeski als Marschallin, Paula Murrihy als Octavian und Christiane Karg als Sophie.

Wir sahen die Aufführung am 02. Juli 2015, die 8. Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 24. Mai 2015.