Wider die Fundamentalisten ? Wider die Muttersöhnchen? Wider die geilen Adelscliquen? – Le Profète an der Deutschen Oper Berlin

Sagen wir es gleich: was an dieser Grand Opéra, die in Berlin vorgestellt wird, fasziniert, das Ist die Musik. Hier wird unter der Leitung von Enrique Mazzola so eingängig, so temperamentvoll, so brillant ( man vergebe mir die abgegriffenen Feuilleton Adjektive) musiziert und nicht minder grandios gesungen, dass das Zuhören eine Lust ist und die Szene zur quantité négligeable wird.

Diese geradezu unendliche Reihe von Belcanto Arien, dramatischen Ausbrüchen, gewaltigen Chorszenen und populärer Ballettmusik, das ist einfach hinreisend. Und wie in der Interpretation, die Maestro Mazzola vorschlägt, das Sublime in der Musik immer wieder ins Groteske umschlägt, auch dies ist, hat man es einmal erkannt, faszinierend. Überdeutlich wird dieses Umschlagen bei den Auftritten des falschen Propheten, diesem Hochstapler, den im Finale seine Mamma wieder zu dem erbärmlichen ödipalen Wicht reduziert, der er von Anfang an, war. Und nicht minder deutlich wird dieses Umschlagen in den großen Ballettszenen im dritten Akt, die geradezu auf dem Kontrast von Sublimem und Groteskem basieren.
All dies verwundert nicht, wenn man sich daran erinnert, dass die Grand Opéra auch auf die Tradition des französischen romantischen Theaters eines Dumas Père und eines Victor Hugo verweist und dass letzter mit seinen Theaterstücken und mit seinem ästhetischen Programm vom Kontrast und vom Ineinander-Übergehen von Sublimem und Groteskem noch in der Frühzeit Meyerbeers die Szene beherrschte.
In der Tradition des französischen romantischen Theaters mit seinem Hang zum Spektakulären und zur pompösen Ausstattung steht auch die szenische Umsetzung der Grand Opéra. Dass ein so routinierter Theatermacher wie Olivier Py sich darauf versteht, auch aus Le Profète im Sinne der Grand Opéra ein großes Spektakel zu machen, das war zu erwarten. Da gibt es gleich im ersten Akt in den Auftritten des Chors Revoluzzer-Romantik zu besichtigen. Da gibt‘s gleich ‚Gewalt gegen Frauen‘, wenn der Mächtige sich die schöne Braut des Gastwirts (des künftigen falschen Propheten) für seine Gelüste gefügig macht. Da bringt der Mächtige mit seiner schwarz gekleideten, mit Maschinenpistolen bewaffneten Truppe die Möchtegernrevoluzzer schnell zur Räson ( ein bisschen SS gehört halt bei Gewaltszenen mit zu den unverzichtbaren Klischees). Da sind die Fundamentalisten machtgeile Heuchler, die das Volk und auch den Propheten nach Belieben manipulieren. Da wird aus Meyerbeers Schlittschuh Ballett eine Gewaltorgie unter Soldaten und Flintenweibern. Und im Finale da serviert uns die Regie Suff und Sex und Homoerotik in Fülle.
Leider konnte uns Monsieur Py nicht den Weltuntergang zeigen, die gewaltige, angeblich vom „Roi- Profète“ ausgelöste Explosion, bei der im Finale die gesamte
Wiedertäufer Gesellschaft und mit ihr der Prophet in die Luft fliegen. Die Berliner Bühnenmaschinerie war durch einen Wasserschaden außer Gefecht gesetzt. So musste sich der Prophet ganz konventionell die Kugel geben, während sich die feiernden Wiedertäufer in die Kulissen zurückzogen.Auch der stumme Engel mit den Pappflügeln war vom Wasserschaden in seinen Aktionen beeinträchtigt. Statt vom Himmel herab zu fliegen, kam er einfach zu Fuß. Eine unfreiwillige Groteske.

War es nun ein politischer Thriller von der Verführbarkeit der Massen und von skrupellosen verlogenen Heilsbringern, was uns die Regie in Berlin so spektakulär zeigen wollte?
Auch diese Elemente mögen die Grundkonzeption. mitbestimmt haben. Oder wollte die Regie vielleicht doch primär auf eine Groteske hinaus? Auf eine Groteske im Sinne Victor Hugos, der diese als Mischung von Schrecklichem, Häßlichem und Komischem verstand. Waren doch nahezu alle Personen, die auf der Szene agierten, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung, letztlich groteske Figuren. Einzig die Figur der Berthe, der vergewaltigten Braut, passt nicht in dieses Panoptikum. Ihr kommt die Rolle der Unschuldigen und im Finale die einer Traumfigur zu, die, anders als im Libretto vorgesehen, nicht im Selbstmord endet,sondern einfach entschwindet. Vielleicht soll ihr ein Touch von Sublimem zukommen?
Wie dem auch sei. Im Berliner Le Profète triumphieren das Orchester und die Stars auf der Bühne: Bruce Sledge in der Rolle des Protagonisten, Elena Tsallagova als Berthe – und als Primadonna assoluta die Mezzosopranistin Clémentine Margaine in der Rolle der Fidés, der Mutter des Propheten.

Ein großerOpernabend in Berlin. Bei Gelegenheit gehe ich noch einmal hin – allein wegen der Musik. Bei dieser so grandios gespielten Musik, wie sie an diesem Abend vom „ Orchester der Deutschen Oper Berlin“ zu Gehör gebracht wurde, meint man zu verstehen, warum der Wagner des Tannhäuser und des Lohengrin es so schwer hatte, sich von der Dominanz eines Meyerbeer zu emanzipieren.
Wir besuchten die Aufführung am 7. Januar 2018, die „7. Vorstellung seit der Premiere am 26. November 2017“.