Beim Ariodante musizieren nicht die Wiener Philharmoniker. Händel ist nicht ihr Fall. Steht Händel auf dem Programm – und dies geschieht höchst selten – dann holt man sich in Wien Gastorchester ins Haus. So war es schon vor nunmehr acht Jahren bei der Alcina, für die man Marc Minkowski mit seinen Musiciens du Louvre – Grenoble verpflichtet hatte. Und jetzt beim Ariodante hat die Intendanz William Christie und sein Orchester Les Arts Florissants eingeladen, allesamt Spezialisten der Barockmusik, die auf historischen Instrumenten spielen. Orchester und Dirigent – das ist geradezu ihr Markenzeichen – bieten Händel vom Allerfeinsten, zelebrieren seine Musik. Schöner und besser geht es nicht. Mit einem Wort: an diesem Abend bietet die Wiener Staatsoper ihrem Publikum Opernkulinarik, ein Hochfest der Barockmusik und zugleich ein Fest der Stimmen.
Mit Sarah Connolly als Ariodante, Chen Reiss als Ginevra, dem Countertenor Christophe Dumaux in der Rolle des Intriganten Polinesso hat man Stars der Barockmusik engagiert. Auch die kleineren Rollen sind mit Rainer Trost als Lurcanio, Wilhelm Schwinghammer als Re di Scozia und Hila Fahima als Dalinda glänzend besetzt. Da gibt es nichts zu bekritteln. Auch hier können wir nur sagen: besser und schöner geht es wohl kaum. Ein Sängerfest. Ein Hochgenuss für die Melomanen.
Die Regie ist nicht ambitiös. Sie will keine neue Geschichte erzählen, hält sich eng an das Libretto und lässt den Sängern allen Raum zur Entfaltung. Prima la musica e dopo la messa in scena. Ähnlich zurückhaltend ist die Ausstattung. Schauplatz des Geschehens ist eine Art Klosterruine am Meer, zu der Ariodante und Lucarnio – beide sind erschöpft von ihren Aventüren – Zugang finden und freundlich aufgenommen werden. Das Kloster, Residenz des Königs, ist Ort eleganter barocker Feste. Kronenleuchter hängen herab, die Tafeln sind reichlich gedeckt, eine Bibliothek steht zur Verfügung, eine Dienerschar sorgt sich um die Hofgesellschaft und deren Gäste usw. Nichts stört den Eindruck eines gezielten Ästhetizismus. Selbst Ginevras Albträume bleiben trotz all der grotesken Auftritte der Tanzgruppe im Rahmen einer barocken Hochkultur. Sie erinnern allenfalls, wenn man das so sehen will, an Victor Hugos romantische Ästhetik vom Grotesken als dem notwendigen Widerpart zum Schönen und Sublimen.
Was soll man da noch viel sagen. Die Regie, für die David McVicar verantwortlich zeichnet, fordert ihr Publikum nicht, lässt es einfach die Schönheit einer Aufführung genießen, lullt es geradezu ein, offeriert ihm ein Märchen für Erwachsene und lässt doch im Finale die Frage offen, ob das Paar Ariodante und Ginevra nach all den Irrungen und Wirrungen, die es erlitten hat, wieder zusammen finden wird. Vielleicht ist das schöne Märchen doch nur ein Antimärchen? So genau wollen und sollen wir es nicht wissen.
Wir besuchten die Vorstellung am 8. März 2018, die fünfte Aufführung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 24. Februar 2018.