Tristan und Isolde – einmal ohne Wagner. Frank Martin: Le Vin herbé. Der Zaubertrank in der Staatsoper im Schiller Theater

In Berlin ist eine Rarität – für mich eine absolute Rarität – zu hören und zu sehen. Musik von Frank Martin hatte ich noch nie gehört, ein Versäumnis, das mir nach dieser faszinierenden Aufführung geradezu peinlich ist.

Frank Martins Tristan Version ist ein „Weltliches Oratorium nach drei Teilen des Romans Tristan e Iseut von Joseph Bédier für 12 Singstimmen, 7 Streichinstrumente und Klavier“.  Minimalismus pur in der Musik – und in der Szene. Katie Mitchel löst das Geschehen radikal aus seinem mittelalterlichen Ambiente und transponiert die Handlung in das Jahr 1942, das Jahr der „Uraufführung der abendfüllenden Fassung“, und lässt sie in einem von den Kriegswirren halbzerstörten Theater spielen. Als Dekor genügen ein paar Tische und Stühle, eine Feuerstelle, ein Bett: Ort der Liebe und des Todes für Tristan und Isolde. Kostüme: schwere Wintermäntel und die Alltagskleidung jener Zeit. Ganz entsprechend der Aufführungspraxis eines Oratoriums sind die  zwölf Sänger alle Zeit auf der Bühne präsent. Einzelne treten hervor, singen und gestalten ihre jeweilige Rolle, um dann wieder zurück zu treten  und sich in den Chor wieder einzufügen. Oratorium und Theater gehen geradezu unmerklich ineinander über, wobei das Oratorium immer wieder die Theaterillusion zerstört und damit den Zuschauer auf Distanz hält. Tristan und Isolde ohne Rausch.

Frank Martin hat neben Prolog und Epilog drei Episoden aus Bédiers Tristan Fassung in Musik, in Kammermusik und in Gesang, transponier: „Der Liebestrank“, „Der Wald von Morois“ [dorthin waren Tristan und Isolde geflohen. Dort findet der König das schlafende Paar, verschont es und verzeiht ihm], „Der Tod“. Zur Musik mögen die Musikhistoriker das Nötigen wissen und sagen. „Martins Musik kennt weder Arien noch Rezitative, sondern verwendet eine fließende, den Text Silbe für Silbe vertonende Deklamation, die sich ans französische Sprachmelos anschmiegt und viel dem Vorbild von Debussys Pelléas et Mélisande verdankt“(Uwe Schweikert im Programmheft Seite 19). Der Wagner Bewunderer, der von dessen Tristan Klängen wohl Deformierte, mag enttäuscht sein. Doch jeder Vergleich zwischen Wagner und Martin ist von vornherein abwegig. Es ist halt etwas vollkommen anderes, was in Frank Martins Oratorium zu hören und zu sehen ist. Und doch berührt es den Zuhörer und dies nicht zuletzt wegen der Inszenierung, die mit minimalen Mitteln und mit brillanten Sängerschauspielern (allen voran Anna Prohaska und Matthias Klink in den Hauptrollen) faszinierendes Theater zu kreieren weiß.

Wir sahen die Aufführung am 26. April 2014, die neunte Vorstellung. Die Premiere war am 25. Mai 2013.