Im Labyrinth der Liebe – der Liebesdiskurse. Pergolesi: L’Olimpiade bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik
Das seit vielen Jahren allsommerlich veranstaltete kleine Festival hatte mit der Zeit etwas viel Patina angesetzt und schleppte sich zuletzt etwas mühsam dahin. Doch jetzt, in diesem Jahr, präsentieren sich die altehrwürdigen Innsbrucker Festwochen unter neuer Leitung, und aller Staub, alle Patina sind verschwunden. Alessandro De Marchi und seine Academia Montis Regalis, ein Ensemble junger Spezialisten für alte Musik, musizieren mit einem solchen Schwung, mit einer solchen Passion – und dies auch noch nach fünf Stunden: die Aufführung dauerte bis nach Mitternacht- dass man nur noch staunen kann. Und wenn dann noch dazu auf der Bühne hochkarätige Sängerschauspieler stehen, allen voran Olga Pasichnyk in der Rolle des unglücklichen verzweifelten Protagonisten Megacle, dann erlebt man in Innsbruck einen großen Opernabend, lernt eine absolute Rarität unter den Opern des 18. Jahrhunderts kennen: eine eingängige Musik, die man, vielleicht mit Ausnahme der einen oder anderen Arie, noch nie gehört hat. Ein Libretto, das zu den herausragenden Texten der italienischen Literatur des 18. Jahrhunderts gehört. Und man versteht mit einem Male, warum die Komponisten jener Zeit sich geradezu darum rissen, Metastasios Libretto zu vertonen, einen Text, der alle nur möglichen Liebesdiskurse durchexerziert und damit den Musikern geradezu ideale Möglichkeiten anbietet. Von der Freundschaft, die sich der Homoerotik gefährlich nähert, über leidenschaftliches Begehren, Verzicht, Eifersucht, Rachsucht, Opferbereitschaft, gemeinsame Todessehnsucht, ‚Macht des Blutes’ bis hin zum latenten Inzest sind alle Diskurse der Liebe vertreten. Zwei Paare werden in ihren Empfindungen durch alle Höhen und Tiefen getrieben. Ganz wie es der Struktur des klassischen Theaters entspricht wird das Geschehen nie direkt zeigt, sondern ereignet sich allein in der Sprache der Protagonisten. Die Regie verzichtet auf alle Aktualisierung, bleibt mit leicht ironischer Distanz in der Entstehungszeit der Oper, d.h. im barocken Ambiente, bricht dieses immer mehr durch Metatheaterverweise auf (den zweiten Akt spielt man auf der Rückseite der Kulissen) und zerstört damit gezielt alle Anflüge von Illusion. Eine durchaus überzeugende Konzeption. Schade nur, dass man im Finale auf die groteske Komödie verfällt, um das für den heutigen Zuschauer zu zwanghafte lieto fine zu karikieren. So wurde denn im Finale aus der ursprünglichen opera seria beinahe eine Buffa. Ja, wir wissen schon. Mit Pergolesis Intermezzi ist die opera buffa auf die Welt gekommen. Innsbruck bietet mit L’Olimpiade ein Fest der alten Musik. Zu bedauern ist nur, dass es nur drei Aufführungen gab. Ich hätte zu gern L’Olimpiade noch einmal gehört und gesehen. Wir sahen die Aufführung am 12. August, die letzte Vorstellung. Die Premiere war am 8. August 2010.
Im Gegensatz zu der brillanten Aufführung von L’Olimpiade bot Vivaldis Ottone in Villa, die zweite Opernaufführung der diesjährigen Festwochen, in großen Teilen nur Langeweile pur. Natürlich weist auch Vivaldis frühe Oper so manche Kostbarkeit auf, die auch den unbedarften Zuhörer aufhorchen lässt. Natürlich musizierte in Innsbruck ein renommiertes italienisches Ensemble, standen, um nur die bekanntesten zu nennen, mit Sonia Prina, Lucia Cirillo und Veronica Cangemi herausragende Sängerinnen, Spezialistinnen für Barockmusik auf der Bühne. Doch wie sie da vor einem Piranesi Prospekt in ihren pseudobarocken Kostümen in einer nur mühsam in Gang kommenden Parodie der opera seria agieren mussten, das wirkte trotz mancher komödiantischen Einlage eigentlich nur schwerfällig und konzeptionslos. Kein großer Opernabend in Innsbruck.