„Dem ewig Jungen weicht in Wonne…“ – ja, was bloß? Siegfried in der Hamburger Staatsoper

Mit Starregisseur Claus Guth habe ich meine Schwierigkeiten. Denkt man an seinen Zürcher Tristan oder an seine dortige Ariadne, ist man noch immer hellauf begeistert. Erinnert man sich an den Mozart/Da Ponte Zyklus, den unser Theatermacher in Salzburg präsentiert, dann hält sich die Begeisterung in Grenzen, besser gesagt: dann überwiegt der Ärger. Und jetzt beim Hamburger Ring, von dem wir bisher Das Rheingold und Siegfried gesehen haben? Gibt es da überhaupt eine Grundkonzeption? Oder werden da einfach nur beliebige Bilder aneinander gereiht: Szenen einer Ehe mit erwachsenen Söhnen auf dem Dachboden eines für die Großfamilie zu eng gewordenen Domizils wie im Rheingold oder wie jetzt im Siegfried pubertäre Phantasien von der Omnipotenz eines unzivilisierten Kraftmenschen? Es müssen ja nicht immer wieder diese obsoleten, diese abgestorbenen Ideologien in Szene gesetzt werden, mit denen uns so mancher Ringschmied zu belästigen pflegt. Aber irgendeine Konzeption sollte doch bei einer Inszenierung des Rings dahinter stehen und wäre es nur die der postmodernen Beliebigkeit.  Vielleicht drängt sich letztere bei der heterogenen Figur des Siegfried geradezu auf: Siegfried als Kraft-  und Sexprotz, als Märchenfigur, als Revolutionär, als Hoffnungsträger, als nicht von der Zivilisation Angekränkelter usw. usw.  „Ach, weist Du, das mit der postmodernen Beliebigkeit, das ist doch auch schon Schnee von gestern. Der Guth ist einfach auf den Al Gore Zug noch mit aufgesprungen“, meinte meine Freundin Ariadne: die Welt ist kaputt und krank. Siegfried und Mime schlafen auf Klinikbetten im Lager eines Krankenhauses und phantasieren sich ihre eigenen Welten zusammen, die selbstverständlich in die Brüche gehen. Siegfrieds Märchenwald ist nur noch das Museum einer heilen Natur, und Brünnhilds hoher Felsen ist nur noch eine heruntergekommene Baracke mit eingeschlagenen Fenstern oder vielleicht auch die Rückseite des Museums. Die übliche, die so abgestandene Zivilisationskritik. Und der tumbe Siegfried soll  die Welt, pardon, das Klima retten?  Wenn Rettung nur die Tumben bringen, dann ist es nur konsequent, dass die allwissende Erda zur Bibliothekarin geworden ist, die die „Bibliothek von Babylon“, d.h. die Welt allen Wissens,  nur noch verwaltet, dass Siegfried zum Feuerfelsen durch die Wände der Bibliothek stürmt und gemeinsam mit Brünnhilde im Finale Bücher und Papiere fortwirft:  „[…] dem ewig Jungen weicht in Wonne… [“] alle Kultur?  War es das? Hoffentlich nicht. Eine solche Botschaft evozierte unselige Assoziationen aus deutscher Geschichte – und käme sie auch nur als ironisches Zitat vergangener Wagner Rezeption da her. Wie dem auch sei. Als naive Opernbesucherin habe ich wohl wieder einmal wenig begriffen, konnte den hehren Intentionen unserer Theatermacher nicht folgen. Realisiert habe ich immerhin, dass im Hamburger Opernhaus ein überragendes Sängerensemble auf der Bühne stand und dass aus dem Graben zwar nicht unbedingt ein rauschhafter aber doch ein brillanter und emotionsgeladener Wagner erklang. Wir sahen die Vorstellung  am 8. November 2009, die “5. Vorstellung seit der Premiere am 18. Oktober 2009“.

26. 04.09 An der Schönheit sterben – im Irgendwo. Death in Venice an der Staatsoper Hamburg

Ein Ansichtskarten Venedig gibt es nicht. Auf der Hamburger Opernbühne gibt es überhaupt kein Venedig, gibt es kein Meer und keinen Lido. Für Venedig stehen zeichenhaft zwei Gondolieri – ohne Gondeln. Den Wind der Adria produzieren zwei gut sichtbar platzierte Windmaschinen. Zuschauer sehet die Signale: wir lehnen alles Reale ab, wir spielen Theater: das Mysterium vom Fluch der Schönheit, wenn Ihr so wollt. Eine Pädophilie-Tragödie, wenn Ihr so wollt. Den Bildungsbürgerkonflikt zwischen apollinischem Maß und dionysischem Rausch, wenn Ihr so wollt. Unser Ort ist ein Irgendwo. Unsere Zeit ist ein Irgendwann. Unser Motto könnte von August von Platen sein: „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, / Ist dem Tode schon anheim gegeben […]“ – eben wie unser Protagonist. Unser Motto könnte von Victor Hugo sein: „Le sublime et le grotesque“ – neben dem Schönen zeigen wir als Kontrastprogramm auch das Hässliche und das Komische: in dem alten Geck, im Hoteldirektor, im Barbier, mit einem Wort: in den Figuren des Widersachers, in den Figurationen des Todesboten. Wir sind keine Dekadenten – wir sind Romantiker mit einem Seitenblick hin auf den Mythos vom klassischen Griechenland mit seinen Göttern und seiner Homoerotik.

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