„Hier soll ich Dich denn sehen, Konstanze…“ , ja, hier im Boulevardtheater alla turca. Oder wie Impresario Bassa Selim seinen Star und sein Theater verlor. Johan Simons inszeniert Die Entführung aus dem Serail an De Nationale Opera Amsterdam

Die Entführung  in Szene zu setzen, das muß eine wahre Crux für unsere Theatermacher sein – wie oft haben wir das schon konstatieren können Da ereignet sich für den einen das Geschehen im Asylantenheim, und Belmonte wird dabei zum singenden Dachdeckermeister. Da lässt der andere  in guter VHS Manier eine Verschleierte uns über das, ach so glückliche, Leben der orientalischen Damen im Harem unterrichten. Da schafft – wie jüngst in Berlin geschehen – ein Dritter das Libretto einfach ab und tischt uns zum Mozart Sound eine Melange aus Porno lirico, Road Movie, Gendertrouble und Mösenballett auf und verlegt das Geschehen in ein Drogencamp. Da geraten  – wie vor zwei Jahren in Aix-en-Provence  – Konstanze und ihre Begleiter in die Hände islamischer Terroristen und  statt dass sie glücklich nach Europa zurückkehren können, rollen ihre Köpfe. Ein Finale, das dem aus dem Westen  in den ‚heiligen Krieg‘ gezogenen Anführer nicht so ganz gefällt. Doch er lässt seine Soldateska einfach gewähren.

Nichts von alle dem findet sich in Johan Simons Amsterdamer Entführung. Hier gibt es keine wohlfeilen Aktualisierungen, keine Trivialisierungen, keinen Trash und erst recht kein verlogenes Gutmenschentum oder billiges Aufklärungsgewäsch. Hier bleiben wir in der Welt des Theaters – im ganz konkreten Sinne und entdecken ( vielleicht) sogar einen tragischen Subtext in dem scheinbar so unprätentiösen Libretto.

Zur Ouverture, wenn das Konstanze Motiv erklingt, steht ein junger Mann, vom Outfit her ein Theaterbesucher,  in der dritten Reihe des Parketts auf und sucht Im Publikum und auf der Bühne vor dem geschlossenen Vorhang nach – wir ahnen es schon – nach Konstanze. Zum Duett und zum Dialog mit einer orientalisch kostümierten Person – wir ahnen schon, das ist Osmin – setzt er sich zu diesem, der zuvor zwei Theaterstühle auf die Bühne gezogen hatte. Zum ersten Auftritt von Konstanze und Bassa Selim  geht der Vorhang auf: die Szene ist ein Boulevardtheater im orientalischen Klischee Dekor. In diesem Theater ist Konstanze wohl der Star und Bassa Selim erster Schauspieler und Theaterdirektor in einer Person.

Die Grundkonzeption der Inszenierung, Theater auf dem Theater zu präsentieren, ist nicht sonderlich originell. Doch in der Amsterdamer Entführung wirkt sie nicht im geringsten aufgesetzt oder abgespielt. Ganz im Gegenteil. Sie gibt der Regie Gelegenheit, einen Subtext des Librettos frei zu legen, eine mögliche zweite Geschichte zu erzählen. Die Entführung ist mehr als eine oberflächliche Dreiecksgeschichte, in der die Figur des blassen Belmonte vordergründig ihr Ziel erreicht. Konstanze ist mehr als die sich stets entziehende Maitresse. Sie ist Schauspielerin und Sängerin, Star des Boulevardtheaters, eine selbstbewußte junge Frau, die mit dem Milchbubi, mit dem sie einst liiert war, nichts mehr anzufangen weiß. Wenn sie aus reiner Konvention, eben weil es das Libretto so will,  das Theater verläßt, verliert sie gleich zweimal: ihre Existenz als Künstlerin und ihre eigentliche Liebe. Und Bassa Selim verliert nicht minder. Mit der möglichen Geliebten verliert er zugleich sein Theater: alle Kulissen fallen spektakulär in sich zusammen. Alles war nur Illusion – die Liebe und das Theater. Es bleibt nichts als Leere.

Im so abgegriffenen, so scheinbar ganz naiven deutschen „Singspiel“ hat die Regie das Traurige, um nicht zu sagen: das Abgründige und das Tragische frei gelegt und ist damit Mozarts Musik wohl gerechter geworden als so manche sich so progressiv gebende Inszenierung, die wir in den letzten Jahren gesehen haben.

Schade, dass wir in Amsterdam nur bei einer etwas müde wirkenden sonntäglichen Nachmittagsvorstellung sein konnten. An den Nachmittagen  geht es halt recht routiniert zu – selbstverständlich auf hohem Niveau: Lenneke Ruiten sang die Konstanze und Paul Appleby Belmonte. Wie dem auch sei. Schön war es alle Male. Zum Ärgern gab es nichts.

Wir sahen die Aufführung am 15. Januar, die zweite Vorstellung der Wiederaufnahme.  Die Premiere des ersten Zyklus war am 5. Februar 2008.