Es muss ja nicht immer das germanische ‘Regietheater’ sein, es müssen ja nicht immer die ‘Stückezertrümmerer’ sich austoben, es müssen ja nicht immer die Neurosen unserer Theatermacher zur Schau gestellt werden, es müssen ja nicht immer billige Aktualisierungen versucht werden. Der Conte di Almaviva braucht auch kein Börsenspekulant zu sein und im Penthouse zu New York residieren. Er braucht auch kein faschistischer Hoteldirektor im Italien der zwanziger Jahre zu sein, die Contessa braucht keine frustrierte Trinkerin, Susanna nicht unbedingt eine durchtriebene Nymphomanin zu sein, und der alte Bartolo braucht auch nicht im Rollstuhl spazieren gefahren zu werden. (Wir zitieren aus Inszenierungen, die wir in den letzten Jahren gesehen haben).
Von all dem wollen Regisseur Emilio Sagi und sein Team nichts wissen. Was sie bieten, ist eine klassische oder – wenn man so will – eine ‚museale‘ Inszenierung, die sich ganz am Libretto orientiert und dieses in Szene setzt, ohne Zeit und Ort oder gar die Struktur der Personen zu verändern. Ganz wie es das Libretto will, ist Ort der Handlung ein elegantes Schloss in Andalusien mit herrschaftlichen Räumen, einem lichten Patio mit Orangenbäumen und einem Garten mit schweren Blumen für den letzten Akt.
Conte und Contessa sind ein elegantes Paar in Rokokokostümen. Alle anderen Personen, mag der Figaro auch schon mal ein bisschen aufmüpfig sein oder mögen die Bauern auch schon mal ein bisschen böse gucken, sind Dienstpersonal, Lakaien, die dem hochadligen Paar stets zu Diensten sind. Von latenter Aufsässigkeit, die so mancher Theatermacher in Le Nozze di Figaro hinein lesen möchte, keine Spur. Auch vom kontrastreichen Spiel der Liebesdiskurse oder gar von einer Dominanz der Susanna, die ja Galanterie und ‚Liebe als Passion‘ in gleicher Weise beherrscht, kaum eine Spur. Alle Personen üben sich in ‚klassischer Dämpfung‘. Dass es in Le Nozze di Figaro um die Liebe geht, wer wollte das bezweifeln. Doch diese Liebe, sei sie nun Narzissmus, Eifersucht, Sehnsucht, Passion, Galanterie, interessiert die Regie nur wenig. Sie schwelgt eher selbstverliebt in wunderschönen Bildern, eleganten Kostümen, prachtvollem Mobiliar. Mit einem Wort: sie gefällt sich in der fernen Märchenwelt des Rokoko. Le Nozze di Figaro: ein zeitgenössisches Stück für die Wiener Hofgesellschaft und Kaiser Joseph II.
All dies wird wunderschön in Szene gesetzt. Keine auch noch so geringe Problematisierung stört den Zuschauer. Und auch der Hörer kann sich genussvoll zurücklehnen. Unter der Leitung von Ivor Bolton wird wunderschön musiziert, wird in allen Rollen wunderschön gesungen. Alles ist nur schön. Doch – so fragt sich die Zugereiste – sollte man vom Musiktheater nicht ein bisschen mehr verlangen als ein lustvolles Schwelgen im puren Ästhetizismus? Wie dem auch sei. Dem Publikum hat es gefallen – und mir auch.
Wir sahen die Aufführung am 19. September, die vierte Aufführung der noch bis zum 27. September laufenden Serie. Die Premiere war am 15. September.