Semele, von Händel bei der Uraufführung im Jahre 1744 noch als Oratorium bezeichnet: „After the Manner of an Oratorio“ wird heute gern als Operette avant la lettre präsentiert. In diesem Stil hatte schon vor ein paar Jahren Robert Carsen in Köln und in Zürich die Semele in Szene gesetzt. In München, wo Karoline Gruber mit dem Ensemble des Gärtnerplatz Theaters eine Semele Version erarbeitet hat, bleibt man ganz auf dieser Linie. Vielleicht nicht ganz, denn in manchen Szenen, so vor allem zu Beginn, weiß die Regie sich zwischen Oratorium und Operette nicht so recht zu entscheiden. (Eine Unentschiedenheit, mit der damals auch Carsen zu kämpfen hatte). In München beginnt die Semele mit einer Massenhochzeit – die Herren im Frack und mit Zylinder, die Damen im weißen langen Kleid. Doch diese Brautleute stehen da so steif und statuarisch herum, dass, wären da nicht die weiß gekleideten Damen, man eher an eine Friedhofs- als an eine Hochzeitsszene denken müsste. Chorgesang auf dem Friedhof, wenn man so will. Oratoriensänger ohne schauspielerische Ausbildung in Aktion. Doch dann dreht sich die Bühne. Und damit dreht sich auch die Aufführung und kommt so richtig in Fahrt. Jetzt, im zweiten Bild, sind wir sind mitten in der Operette, besser: in einer Offenbachiade. Eine aufgekratzte Semele im Negligé, die Jupiter in ein Lustschloss entführt hat, räkelt sich in den Kissen, langweilt sich im luxuriösen Ambiente, sehnt sich nach ihrem Liebhaber – und singt brillant. (Unwillkürlich denkt man an Orpheus in der Unterwelt, dritter Akt. Eine gelangweilte Eurydice wartet auf Pluto). Jupiter erscheint: ein englischer Dandy des 19. Jahrhunderts, ein Gentleman aus der Upper Class, hält sich mit der Semele eine hübsche und liebestolle, allerdings höchst anspruchsvolle Maitresse. Ersteres Verhalten genießt der Gentleman lustvoll. Letzteres nimmt der natürlich verheiratete Gentleman indigniert zur Kenntnis. Will doch die Gespielin so einfach in die Upper Class aufsteigen. Wie solche Geschichten ausgehen, das wissen wir im Publikum noch aus den Mythen und den Feuilleton Romanen des 19. Jahrhunderts. Die um ihre Besitzstände besorgte Gattin entsorgt die nicht standesgemäße Rivalin – und der Gentleman steht als Trottel da und verdrückt sich.… → weiterlesen