„Ein Märchen aus uralten Zeiten…“. Bei den Salzburger Festspielen erfüllt sich Peter Stein einen Kindertraum. Franz Schubert: Fierrabras

Da plätschert so selig, so beseligend eine wunderschöne Musik dahin, da singen (und sprechen) Stars der internationalen Opernszene so wunderschön. Und Männer- und Frauenchöre tun es ihnen gleich. Fierrabras ein deutsches Singspiel von edlen Rittern und schönen Burgfräulein, von Mauren und Franken in Streit und Versöhnung.

Und der große Theatermann Stein liefert dazu lebende Bilder. Genauer: er lässt seinen Ausstatter – so entnimmt man dem Programmheft – Illustrationen  von  Gustave Doré zu einer Geschichte der Kreuzzüge auf der Bühne nachstellen. In diesem Ambiente lässt der so verdienstvolle Regisseur – ohne eine Spur von Ironie oder gar Parodie, in gespielter Naivität – Könige und Prinzessinnen, Ritter und Damen, Franken und Mauren agieren. Da sind die Ritterfräulein so züchtig gewandet wie Uta von Naumburg, da trägt der  gute König eine silberne Krone, und seine Ritter tragen silberne Kettenhemden und weiße Mäntel. Die bösen Mauren tragen dunkle Gewänder und Turbane und haben dunkle Gesichter (so können wir sie gleich von den edelmütigen, hell gewandeten Franken unterscheiden). Doch ganz so böse sind die Mauren nun auch wieder nicht. Der maurische Prinz Fierrabras ist in die Tochter des fränkischen Königs verliebt, und edel, wie der Maure nun einmal ist, verzichtet er zugunsten eines armen fränkischen Rittersmann, den Prinzessin Emma sich erwählt hat, auf seine Liebe. Nicht genug damit. Er hilft den Franken und kämpft gegen seine eigenen Leute. Hatten diese doch die fränkischen Friedensgesandten festgesetzt und mit dem Tode bedroht. Im Gegenzug kriegt Ritter Roland, König Karls Paladin, die maurische Prinzessin zur Gattin: die verliebte Prinzessin, die um ihren Roland aus der Gefangenschaft zu befreien, zu den Franken überläuft. Natürlich gibt es, wie es die Tradition des Singspiels und nicht minder die Struktur des Märchens verlangen, ein großes happy end. Da siegt nicht nur die Liebe. Da siegt auch das Christentum. Alle Mauren werden, wenn auch etwas unwillig,  zu Christen, und Prinz Fierrabras, wenn er schon die Tochter des Königs nicht kriegt, darf immerhin  sein Ritter sein.

Eine seltsame Inszenierung, die jegliche Problematisierung vermeidet, eine heile Märchenwelt vorgaukelt und dieses Genre perfekt in Szene setzt, die in schönen Bildern schwelgt, die das Publikum einlullt und die bei aller Perfektion trotz ihrer oder vielleicht auch wegen ihrer konsequenten Entscheidung für das Märchen ein ungutes Gefühl hinterlässt. Opas deutsches Singspiel und  ein Rittermärchen zu exorbitanten Preisen bei den Salzburger Festspielen? Das muss ja nicht sein. „Im nächsten Jahr wird Peter Stein wohl Peterchens Mondfahrt im großen Festspielhaus inszenieren“, kicherte eine Dame in der Reihe vor mir. Ja, warum eigentlich nicht.

Wir sahen die Vorstellung am 25. August 2014. Die Premiere war am 13. August.

 

 

Salzburger Festspiele 2009: Bibelstunden mit Pastor Flimm (Soundtrack: Gioachino Rossini): Moїse et Pharaon im Großen Festspielhaus

Eine große französische Oper, die noch dazu in romantischer Zeit uraufgeführt wurde, deren Libretto sich am Alten Testament orientiert (Buch Exodus) und dem Bibeltext noch eine romantische Liebesgeschichte aufpfropft, ein solch hybrides Werk, eine solche Melange aus sublimen Materialien sakraler und profaner Art in Szene zu setzen, das ist sicher eine Herausforderung für jeden Theatermacher. Warum der mit neuen und alten Pflichten eigentlich ausgelastete Herr der Festspiele sich an dieser Aufgabe versuchte, das ist sein Geheimnis. Öffentlich ist nur sein klägliches Scheitern an dieser Aufgabe. Der geduldige Zuhörer und Zuschauer, der sich von Rossinis Belcanto, seinen so eingängigen Melodie verzaubern oder einlullen lässt, der den Wiener Philharmonikern unter Maestro Muti andächtig lauscht, der den musikalischen Part (sieht man einmal vom etwas holprigen Anfang ab) schön und annehmlich findet, dieser Zuhörer fragt sich in seiner Rolle als Zuschauer, was dieses dürftige Spektakel auf der Bühne eigentlich soll. Eine Mischung aus urväterlichem grand opéra Getue, Brecht Schautafeln und Bibelstunden für Konfirmanden, das sah man auf der Bühne. Nun ja, warum soll man nicht historisierend inszenieren und unserem Publikum mal zeigen, wie wohl eine große Oper unter den Bourbonen oder meinetwegen unter Kaiser Napoléon III aufgeführt wurde und als Zugabe uns Neuheiden, die wir die klassischen Bibeltexte nicht mehr so richtig kennen, ganze Kapitel aus dem Buch Exodus auf den Vorhang projizieren: das Theater als religiöse Anstalt. Das ist alles – leider nicht- gut und schön. Das ist freundlich gesagt Opas Stadttheater mit pastoralem Impetus. Und noch etwas. Und dies macht das gut gemeinte Spektakel zum Ärgernis.  Hat die Regie wirklich nicht gemerkt, dass sie ein latent antisemitisches Libretto in Szene setzt, dass dieser Moses, wie ihn das Libretto zeichnet und, diesem folgend, wie ihn die Regie auf die Bühne stellt, ein tyrannischer Fundamentalist ist, dem ein sadistischer Deus ex machina nach Belieben barbarische Machtmittel in die Hand gibt? Hat sie nicht gemerkt, dass dieser Moses noch dazu ein theokratischer Macho ist, der im Namen seiner Ideologie „die Liebe als Passion“ vernichtet. Alle diese Tyrannis hinterfragt die Regie nicht im Geringsten, geschweige denn, dass sie diesen Tendenzen entgegensteuert. Nein, sie verstärkt sie noch, indem sie die Gegenspieler, „die Ägypter“, als orientalische Märchenfiguren hinstellt, die den durchweg in heutiger Kleidung auftretenden Hebräern nichts entgegen zu setzen haben. Vielleicht nennen wir das Ganze, um nicht zu streng zu urteilen, nicht latenten Antisemitismus, sondern einfach nur religiösen Kitsch mit Materialien aus dem Alten Testament. Der peinliche Höhepunkt dieses Kitsches wird zu  Beginn des drittes Akts erreicht, wenn zur so eingängigen Ballettmusik nicht etwa eine Tanztruppe ihre Künste zeigt, sondern auf den geschlossenen Vorhang Texte projiziert werden: die Plagen, die Jahwe gegen die Ägypter verhängt hat, zitiert werden. Obligatorische Bibellektüre unterlegt mit Rossini Sound, das ist sicherlich eine originelle Bibelstunde. Natürlich wollen wir niemandem in Salzburg latenten Antisemitismus oder missionarischen Eifer unterstellen. Aber Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit schon. Und beide haben das Spektakel an die Grenzen der Peinlichkeit geführt. Ich weiß nicht. Es war alles sicherlich so gut gemeint. Aber gut gemeint und Kunst, das sind bekanntlich zwei Welten. Eine solche Binsenwahrheit sollte man eigentlich in Salzburg kennen.  Aber vielleicht ist Theatermacher Flimm auch schon von der Salzburger Krankheit befallen, wie sie Thomas Bernhard so gnadenlos diagnostiziert hat, und seine vorzeitige Flucht aus Salzburg ist nur der verzweifelte Versuch, einem offensichtlichen künstlerischen Niedergang  Einhalt zu gebieten: „Wer hier lebt […] muß, bevor es für ihn zu spät ist, wieder weggehen, will er nicht werden, wie diese stumpfsinnigen Bewohner […], die mit ihrem Stumpfsinn alles abtöten, das noch nicht so ist wie sie selbst“ (Der Untergeher, S, 19f., Suhrkamp Taschenbuch). Hoffen wir für Jürgen Flimm, dass in Berlin die Musen ihn noch einmal küssen. In Salzburg haben sie sich von ihm abgewandt. – Wir sahen die Vorstellung am 23. August 2009