Nein, dieses Mal sind wir nicht in Neuköln, in der Berliner Türkenenklave, auch nicht im Asylantenheim, auch nicht im Revuetheater in Istanbul, auch nicht im Drogenbordell im Mittleren Westen, auch nicht in der vorehelichen Psychohölle, auch nicht bei den Gutmenschen der Spätaufklärung, auch nicht bei Lawrence von Arabien und seinen sadistischen Beduinen.In Salzburg hat Theatermacherin Andrea Moses Mozarts aufklärerisches Orientmärchen in ein Filmstudio verlegt, wo Produzent und Regisseur und Drehbuchautor Selim das Sagen hat. Ein Selim, der sich nicht mit diesen drei Funktionen zufrieden gibt, sondern bei Bedarf auch noch die Hauptrolle übernimmt: den etwas in die Jahre gekommenen Möchte-Gern-Liebhaber einer etwas spießig-naiven jungen Frau, die unbedingt an ihrer Sandkasten-Liebe festhalten will.Über diese Variante des Drehbuchs, die ihm von einem Schreiberling untergejubelt wurde, ist Selim mehr als verärgert. Er hat nicht die geringste Lust darauf, den „Gutmenschen vom Bosporus“ zu machen. Ganz im Gegenteil. Er würde am liebsten den jungen Trottel Belmonte, der ihm ganz in der Nachfolge seines Vaters die Geliebte abspenstig macht, zusammen mit dessen gesamter Bagage an die Wand stellen. Ganz entsprechend fuchtelt er schon mal wild und gefährlich mit der Pistole herum. Warum Selim sich schließlich doch für die sanfte Variante des Drehbuchs entscheidet, das bleibt das Geheimnis der Theatermacherin Andrea Moses. Vermutlich wollte sie unsere Salzburger Luxusrentner nicht vor den Kopf stoßen und scheute vor der Provokation zurück, mit der Martin Kusej vor ein paar Jahren seine Entführung aus dem Serail in Aix-en- Provence enden ließ. Dort verdursten Belmonte und Konstanze, Blonde und Pedrlllo auf der Flucht in der Wüste. Und die Köpfe werden Ihnen noch dazu abgeschlagen, und zugleich wird das ganze aufklärerische Getue mitsamt seiner Verklärung des Orients und seinem Gutmenschen Geschwätz als Verlogenheit entlarvt.Die Transposition des Geschehen in ein Filmstudio, das Ausspielen eines latenten Sadismus, die Umformung der Rolle des Selim, die vielen, mitunter recht albernen Gags, die Zitate aus anderen Werken Mozarts, das Einspielen orientalischer Musik, all das hat einem Teil des Premieren Publikums überhaupt nicht gefallen. Nach der Pause blieben viele Plätze leer ( Die sechste Parkettreihe, In der wir unsere Plätze hatten, blieb , um nur ein Beispiel zu nennen, nach der Pause zur Hälfte leer). Wer halt ein hübsches traditionelles Orientmärchen zum Verdauen nach dem Abendessen erwartet hatte, der war enttäuscht. Dem übrig gebliebenen Teil des Publikums hat die zwar nicht unbedingt originelle, aber doch stringente Filmversion der Entführung gefallen – nicht zuletzt dank des grandiosen Peter Lohmeyer in der Rolle des Selim. Ein Schauspieler, der aus einer scheinbaren Nebenrolle die Hauptrolle des Stücks zu machen wußte und alle anderen Mitwirkenden zu „singenden Statisten“ machte, die ihre „geläufigen Gurgeln“ vorführen durften. Dass diese singenden Statisten allesamt herausragende Sängerinnen und Sänger waren und dass unter der Leitung von René Jacobs exzellent musiziert wurde, das verseht sich von selbst.Wir besuchten die Premiere an 26. Jänner 2018.