Ja, worüber lacht Kundry eigentlich in den letzten Takten des Parsifal? Eine Kundry, die dem frömmelnden Erlöser Parsifal die Taufschale mit dem geweihten Wasser aus der Hand schlägt und die sich partout nicht vereinnahmen lassen will. Lacht sie über diese dümmlichen Machos, die mit verzücktem Blick nach der Gralsdroge lechzen? Lacht sie über das ganze liturgische Brimborium, das Wagner und seine Ausstatter aufführen? Lacht sie, stellvertretend für Theatermacher Stölzl , über diese seltsame Inszenierung, die die Deutsche Oper anbietet? Befreit sich die Regie mit diesem selbstironischen Lachen von diesem Opernmüll, von diesem ganzen religiösen Getue, mit dem sich Wagner, der große Komödiant, von der Welt verabschiedet hat?
Stölzls Parsifal muß man wohl vom Ende her begreifen. Nur als ironische Replik auf die Parsifal Rezeption ist sein Parsifal Bilderbuch erträglich.
Bei Stölzl hausen Wagners Gralsritter nicht als Penner unter der Autobahnbrücke. Sie vegetieren auch nicht als Strafgefangene irgendwo in einem verfallenen russischen Kloster. Sie sind auch nicht Opfer eines Bruderzwists zwischen Amfortas und Klingsor und leben auch nicht in einem Lazarett während des spanischen Bürgerkriegs. Bei Stölzl sind sie – so im ersten Akt – einem Bilderbuch der Historienmalerei entstiegen. Auf Felsen hoch thront die Gralsburg. Die Brüder treten in Templerritter Montur auf, das große rote Kreuz auf dem Brustharnisch. Die Schwerter blitzen. Wild und fanatisch ist der Blick. Amfortas trägt eine veritable Krone auf dem Haupt. Was Gurnemanz erzählt wird parallel dazu szenisch dargestellt. Selbst die Ouvertüre wird zum Bilderbuch, nein besser: zu einer Reihe von Tableaux Vivants, die die Vorgeschichte der Gralserzählung in Szene setzen: der Tod Christi auf Golgatha, das Auffangen des Blutes aus der Seitenwunde im Abendmahlskelch, die Übergabe der Lanze usw.
Der irritierte Zuschauer, der sich eigentlich auf die berühmte Ouvertüre konzentrieren wollte, fragt sich, ob er in einen Historienschinken made in Hollywood geraten ist oder ob er das Berliner Opernhaus mit dem Passionsspielhaus in Oberammergau verwechselt hat. Und er bedauert, dass es ihm an kunsthistorischen Kenntnissen mangelt, um die Bildzitate benennen zu können. Sind es vielleicht die Nazarener, die im ersten Akt fragmentarisch zitiert werden? Verweist das orientalische Dekor im zweiten Aufzug vielleicht auf das entsprechende Genre bei Delacroix? Und im letzten Akt, wenn die Brüder, dieses Mal ein Mob im Freizeit Look , Amfortas/Jesus, der das Kreuz auf der Schulter schleppt, auf den Golgatha Felsen hetzen, werden dann Stationen des Kreuzwegs nachgestellt?
Keine Frage, dass Stölzls Parsifal Bilderbuch gekonnt gemacht ist, dass, wer gern in mittelalerlichen Bilderbüchern blättert oder sich an orientalischem Schwulst ergötzt oder an pseudomysthischem Entzücken Gefallen findet, in dieser Inszenierung auf seine Kosten kommt. Wer das alles nicht mag, der geht halt früher nach Hause. – so wie die Herren zu meiner Rechten und zu meiner Linken.
Und der Musik Part? Wenn mit Daniela Sindram als Kundry und Klaus Florian Vogt als Parsifal zwei Weltstars singen und agieren, wenn das „Orchester der Deutschen Oper Berlin“ unter der Leitung von Donald Runnicles Wagner zelibriert, dann gibt es nichts zu bekritteln. Nur eine Bemerkung: in der Staatsoper im Schillertheater, nur wenige hundert Meter stadteinwärts, spielen sie auch Parsifal. Zu welchem soll man gehen ? Ich habe mich entschieden.
Wir sahen die Vorstellung am 30. Oktober 2016, die „13. Aufführung seit der Premiere am 21. Oktober 2012“.