Die Zicke, der verliebte Tölpel und Bordeaux vom Fass. L’elisir d’amore bei den Münchner Opernfestspielen 2010

 

Eine Buffa, ein „melodramma giocoso“ in Szene zu setzen, und sei es auch  noch so einfach gestrickt und mögen sich auch noch so viele Komödientypen auf der Szene tummeln, das muss geradezu eine Herkulesarbeit für deutsche Theatermacher sein. Dass der schmachtende Depp am Ende doch noch als Hans im Glück seine Prinzessin bekommt, dass der miles gloriosus, der Military Macho, am Ende leer ausgeht, der Dottore die Fäden zieht, dass Bacchus und seine Weinseligkeit zum Liebesglück beitragen, diese Komödien Schemata sind jedem  Theaterbesucher vertraut, und er erwartet, dass eine routinierte Regie  diese  mit Schwung und Tempo variiert und durcheinander wirbelt. Und  für diesen Wirbel bietet schon das  Libretto und erst recht Donizettis Musik die besten Voraussetzungen: die hinreißenden Melodien, der schmachtende Tenor, die Primadonna mit ihren  spitzen Koloraturen, der virile Bariton, der die Szene beherrschende Spielbass und jede Menge Chorpartien. Wenn man dann noch dazu über Sänger der Spitzenklasse und über ein spielfreudiges Ensemble verfügt, wie es in München (meist) zum Standard gehört, ja dann? Dem Münchner Produktionsteam um einen bekannten Schauspielregisseur ist das alles nicht genug. Komödien gibt es in deren Vorstellungen nur, wenn man sie mit ‚teutschem’ Tiefsinn tränkt. Wir gehen von „einer Traurigkeit als Grundatmosphäre“ aus. „Wir versuchen, eine zarte Poesie  des Ärmlichen zu entwickeln“. Musik und Libretto konzentrieren sich auf einen Menschen, „der sich in einer unglücklichen Liebe verzehrt“ – so heißt es im Programmheft. Welch groteske Fehlinterpretation. Welch altdeutsche Lust an der Schwermut. Welch ein Glück für den Münchner Donizetti Abend, dass Musik, Gesang und Spiel und am Ende sogar die Inszenierung selber  den Pseudotiefsinn, der im Programmheft verbreitet wird, widerlegen. Die Figuren, die sich da auf der Bühne tummeln, sind, um es noch einmal zu sagen, Komödienfiguren und wenn man ihnen deutsche Tiefsinnpasta aufkleben will, dann wirken sie umso komischer. Dann verselbständigt sich ganz einfach die Komik. Die Tristan lesende Adina ist eine Komödienfigur, die auf die scheinbar gelehrten Frauen bei Molière verweist, ein heillos Verliebter ist schon per se eine Komödienfigur und dies erst recht, wenn das Libretto diesen noch dazu als Dorftrottel und kleinformatige Tristanparodie präsentiert. Ja und wenn die Regie schließlich den armen Nemorino zu „Una furtiva lacrima“ auf einen Lichtmast klettern lässt, (Achtung: Phallussymbol!) dann macht sie ihn noch lächerlicher als er  schon ist – und die amüsierte Opernbesucherin bewundert nicht nur die schöne Stimme, sondern auch die Kletterkünste des sportlichen jungen Mannes und fragt sich belustigt, wie der wohl nach dem halben Fass Bordeaux, das er  angeblich als ‚Liebestrank’ in sich hineingeschüttet hat, da wohl rauf und wie er da wohl wieder runter kommt. Ach, welch ein Glück: da kommt auch schon die schöne Adina angerannt, wiegt sich wie schon den ganzen Abend über in den Hüften (für die Regie muss Hüftgewackel der Gipfel der Erotik sein) – „und es war alles, alles gut!“ „[… ] Leuchtkugeln flogen vom Schloss durch die stille Nacht, über die Gärten, und die Donau rauschte dazwischen herauf […]“. Nein, ganz so war es im Finale nicht. Nur so ähnlich. Das Orchester rauschte dazwischen herauf, der große stählerne Tank, (meine Nachbarin sah darin ein Ufo, das auf einem Mähdrescher gelandet war), der Tank, in dem der Dottore seinen Wein mitführte, platzte, aller Bacchussegen  ergoss sich über die Feiernden, und hoch oben vom Fass grüßte das junge Paar. Ja, ja wir wissen schon: „Ohne Ceres und Bacchus friert Venus“. Oder war das Finale vielleicht ein Filmzitat aus der Titanic: das Liebespaar auf dem Bug des untergehenden Schiffes…. Wie dem auch sei. Wer sich kein Programmheft gekauft hatte und dem entsprechend nicht nach der angekündigten „Traurigkeit“ Ausschau halten musste, der amüsierte sich prächtig, freute sich an der Belcanto Komödie und war von Pavol Breslik in der Rolle des Nemorino begeistert. Wir sahen die Vorstellung am 24. Juli 2010. Die Premiere war am 1. Dezember 2009.