Alle Jahre wieder Händel Opern Im „Deutschen Theater“. In dem kleinen, ach so verstaubten Haus darf man szenisch nicht viel erwarten (am besten gar nichts). Im Musikpart, in Orchesterklang und Stimmen, erreicht Göttingen indes durchaus Festspielniveau. So auch in diesem Jahr, in dem mit Rodrigo Händels „erste italienische Oper“ (uraufgeführt in Florenz im Jahre 1707) auf dem Programm steht.
Das Libretto erzählt eine wirre Geschichte aus dem frühen spanischen Mittelalter. Da gibt’s den triebgesteuerten König, eine rachsüchtige Maitresse, die edelmütige Königin, gewalttätige Militärs, die für oder gegen den König um die Macht streiten. Die Regie hat gut daran getan, auf allen historisierenden Kontext zu verzichten und das Geschehen in eine unbestimmte Gegenwart zu verlegen und sich mit einem Einheitsspielort, einem herrschaftlichen Raum, zu begnügen. Das waren aber auch die einzigen Großtaten des englischen Theatermachers Sutcliffe. Alles, was sonst noch aufgeboten wurde, fällt unter die Rubriken Bettszenen, Klamotte, Gewaltorgien, Gutmenschengejammer, Edelmut bis zur Selbstaufgabe. Doch für das obligatorischen lieto fine hat sich die Regie einen besonderen Coup einfallen lassen. Zum Freude, Friede, Eierkuchen Finale gibt’s keine Eier, sondern gegrillten Jagdhund. Ja, was soll man auch machen, wenn der Bürgerkrieg außer ein paar Dosen Cola light und verschimmelten Chips nichts übrig gelassen hat.
Bei dem ewigen Reigen von Rezitativen und Arien, bei einer Musik, die alle nur möglichen Affekte in Stimmen und Orchesterklang durchexerziert, sind Szene und Dekor letztlich bedeutungslos. Es sei denn, man wollte großes barockes Maschinentheater aufführen. Doch für Spektakel dieser Art ist die kleine Göttinger Bühne sowieso nicht geeignet.
Beim Göttinger Rodrigo haben wir Zuhörer das Glück, dass alle Rollen höchst brillant besetzt sind: der androgyne König in der Person der Sopranistin Erica Eloff, die Primadonna Flur Wyn in der Rolle der gütigen Königin, die Seconda Donna, Florinda, die rachsüchtige Mätresse in der Person der Anna Dennis, die im Finale den siegreichen Gegenkönig Evanco alias Russell Harcourt zu sich ins Bett ziehen darf. Der Countertenor Harcourt ist im hochkarätigen Ensemble der Star. Eine wunderschöne Stimme, eine virile Bühnenerscheinung, ein Sänger, der das Zeug für eine große Karriere hat. Und Ähnliches gilt wohl auch für den Tenor Jorge Navarro Colorado in der Rolle des Militärchefs.
Im Festspielorchester, das unter der Leitung von Laurence Cummings musiziert, sind selbstverständlich alle Mitwirkenden `Solisten`. Ein Sängerfest auf der Bühne, ein Fest der Musiker im Graben. Nur eine Anregung: mir scheint, dass ein paar Striche in den Rezitativen der Aufführung gut getan hätten.
Wir besuchten die Vorstellung am 22. Mai 2019.