In Frankfurt ist eine Rarität zu hören. Julietta, Martinůs „lyrische Oper in drei Akten“ vom Jahre 1938, zu der der Komponist in Anlehnung an das Theaterstück Juliette ou la clé des songes des französischen Surrealisten Georges Neveux selbst das Libretto schrieb – so liest man es im Programmheft.
Die Musik – schöne, gefällige Filmmusik, die ich zuvor noch nie gehört hatte und an die ich mich schon gar nicht mehr erinnern kann. Ganz wie die Akteure in diesem surrealistischen Stück – Träumer sind sie alle -, die sich an nichts erinnern können, die sich Erinnerungen beim Hausierer kaufen und sich für ihre Träume beim Zentralbüro für Traumverwaltung anmelden.
Ganz im Sinne des Librettos und wohl auch ganz im Sinne des sanften Soundtrack setzt Theatermacherin Florentine Klepper mit geradezu karnevalesker Spielfreude ein ‚Traumspiel‘ in Szene. Sie kennt ihren Strindberg, ihren Breton und Borges und Tabucchi und noch viele andere Literaten des Traumdiskurses und weiß sie für ihre Arbeit zu nutzen: „Alles kann geschehen, alles ist möglich und wahrscheinlich, vor einem unbedeutenden Wirklichkeitsgrund entfaltet sich die Einbildung und webt neue Muster: ein Gemisch aus Erinnerungen, Absurditäten und Improvisationen“. (Strindberg) –
Kleppers Inszenierung ist geistreiches, witziges, groteskes Traumtheater, ein Labyrinth der Träume, in dem sich der Protagonist Michel, der nicht von ungefähr ein Buchhändler, eben ein von der Literatur Geschädigter ist, gänzlich verliert. Gibt es die schöne Juliette, nach der er sucht, die er zu finden glaubt, die er wieder verliert, gibt es sie überhaupt? Ist sie nur ein Traumgespinst? Ist er selber, der sich für eine ‚reale Person‘ hält, vielleicht doch nur eine Traumfigur? Alles Geschehen bleibt in der Schwebe – für den Protagonisten wie für die Zuschauer. Im Finale hält die Regie – vielleicht – eine Antwort bereit, wenn sie – vielleicht – den Schluss der Borges Erzählung Las ruinas circulares zitiert : wie der Protagonist bei Borges erkennt der Buchhändler Michel, dass er doch nur eine Traumfigur ist, die Traumfigur eines anderen Michel und dieser Michel wiederum die Traumfigur eines anderen ist und dass das Spiel der Träume und Traumfiguren in einer Endlosschleife immer weiter läuft, immer weiter…
Keine Frage, dass diese anspruchsvolle und zugleich auch höchst unterhaltsame Inszenierung nur gelingen kann, wenn wie jetzt in Frankfurt ein spielfreudiges Ensemble auf der Bühne steht, wenn mit dem so brillanten Kurt Streit in der Rolle des Michel die Regie einen Sängerschauspieler zur Verfügung hat, der den Traumdiskurs grandios zu konkretisieren weiß. Ein schöner, ein ungewöhnlicher Opernabend in Frankfurt.
Wir sahen die Aufführung am 13. Juli 2015. Die Premiere war am 21. Juni 2015.