Ja, Nastasja, die „Zauberin“, verzaubert und bezaubert sie alle. Mächtige und Ohnmächtige, Machos und Softies, Frauen und Männer, und die Folgen sind für die, die sich zu weit vor wagen und nicht zuletzt auch für die „Zauberin“ selber fatal. Mehr noch. Sie sind letal: für den Märchenprinzen, den sich die Zauberin auserkoren hat und den der eifersüchtige Papa ersticht und für die Zauberin selber, die von der bösen Mama des Prinzen vergiftet wird.
Christof Loy hat die Mär von der knabenhaft jungen Frau, die so gar nichts von einer Circe, Kalypso, Alcina oder gar einer Carmen hat und deren ‚Charme‘ doch alle verfallen, als ein heterogenes Stück in Szene gesetzt: als Volksstück im ersten, als Kammerspiel im zweiten und dritten Akt und als Antimärchen im vierten Akt: konkret als eine Mischung aus Bierzeltfete, Szenen einer Ehe, Hollywood Kitsch um Passion und Rache und als Horrortrip im Märchenwald. All dies, seien es nun Massenszenen oder kammerspielartige Dialoge, gelingt dank einer subtilen Technik der Personenregie. Wie Loy im ersten Akt eine Hundertschaft von Chorsängern und kleinen Solisten auf engem Raum durch die Szene dirigiert, die Szene gleichsam choreographiert, das ist schon bewundernswert. Und das gleiche gilt für die Einzelszenen. Zum Beispiel für die Szene Fürst und Nastasja im dritten Akt. Wie die ‚Zauberin‘ vor einer leeren Wand auf der Empore mit gelangweilten Gesten absoluter Gleichgültigkeit den sich immer mehr in Rage redenden (Pardon singenden) Fürsten in den Wahnsinn treibt, das ist schon grandios inszeniert.
Auch in dieser seiner Tschaikowski Inszenierung ist Loys persönlicher Stil: sein ausgeprägter Minimalismus, sein Hang zum Metatheater und zu Zitaten leicht erkennbar. Als Spieldekor genügen ihm ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett. Spielfläche in allen Akten ist eine Empore in einem geschlossenen Raum, der sich im Bühnenhintergrund zu freien Natur, zu einer Lichtung hin öffnen kann. Diese Freiheit ist nur eine Illusion, ein Kunstprodukt, ein Bühnenprospekt, den die ‚lustige Gesellschaft‘ im ersten Akt einfach vom Schnürboden herunterzieht. Ein scheinbar simpler Metatheatergag und doch ein Signal, dass die scheinbar so krude ‚Realität‘ des Wirtshauses der ‚Zauberin‘ Nastasja, in dem sich Bürger, Ausgeflippte und Komödianten zu Besäufnis, Kraftmeierei und Tanz treffen, nicht auf die ‚Realität‘, sondern auf die Gattung des Volksstücks verweist. Die „lustige Gesellschaft“ regiert Nastasja mit leichter Hand. Niemandem gehörig, niemandem untertan, auch nicht der Obrigkeit, die sie in der Person des Fürsten bedrängt und den sie allein durch ihren Charme für sich gewinnt – und abweist.
Höhepunkt des Stücks – und der Inszenierung ist der finale vierte Akt: das Antimärchen mit den Attributen des Märchens. Im Märchenwald, dem Ort der scheinbaren Freiheit, findet sich der sanfte Bär, an den sich die arme Nastasja im Sterben kuscheln wird. Da finden sich der Zauberer im Zirkusdress, die mordlüsterne Mutter als Hexe (wohl aus einer Rusalka Inszenierung), das arme Mägdelein (Nastasja, die all ihren Charme verloren hat), das auf den Märchenprinzen wartet. Und als dieser schließlich kommt, da ist es schon zu spät. Da hat die Hexe das Mädchen schon mit einem Zaubertrank vergiftet. Romeo alias Prinz Juri braucht sich in seinem Schmerz gar nicht selber ins Jenseits zu befördern. Das besorgt schon der dem Wahnsinn verfallene eifersüchtige Fürst und Papa. Und Fürstin Mama schaut zu. Kein Märchen. Ein Antimärchen. „Tot denn alles!“. Nicht ganz. Der Mythos von der Femme fatale – daran erinnert die Regie im Finale – ist unsterblich. In unzähligen Varianten lebt er immer weiter fort. Wie Violetta steht Nastasja wieder auf und entschwindet im Licht und wird wiederkommen und neue Opfer finden.
Eine anspruchsvolle, glänzend gelungene Inszenierung einer Rarität ist im Theater an der Wien zu sehen. Und die Musik? Ein für mich unbekannter Tschaikowski, der bezaubert. Und Orchesterklang und Gesang und Spiel? Einfach grandios. Allen voran als unbestrittener Star des Abends Asmik Grigorian in der Titelrolle. Zurückhaltend im Spiel – ganz wie es die Regie von einer Femme fatale wider Willen verlangt. Überragend als Sängerin. Faszinierend als Bühnenerscheinung.
Das Theater an der Wien beginnt die neue Saison mit einem Highlight, einem großen Opernabend. Wir sahen die Vorstellung am 23. September. Die Premiere war am 14. September 2014.