Die vernichtende Kritik der Purcell Produktion, die man am 13. Juli in Le Monde lesen konnte, hatte die Erwartungen schon erheblich gedämpft. „Que font ces chanteurs dans le plus important festival d’art lyrique français?“ Nun, ganz so schlimm ist es dann doch nicht gekommen. Mit Anaik Morel hatte man die Rolle der Dido kurzfristig neu besetzt – und damit die weiteren Aufführungen gerettet. Für weitere Umbesetzungen war es wohl zu spät.
So sahen und hörten wir denn, wie in der Rolle des Aeneas ein wohl indisponierter Bariton, vom Outfit her ein britischer Kolonialoffizier, sich um eine Dame im eleganten langen Kleid und mit einem Diadem im Haar namens Dido bemühte – wenn er nicht gerade mit dem Revolver herumfuchtelte. Dido servierte dem etwas überraschten Briten (wohl frei nach Wagner) einen Liebestrank, der allerdings nur kurzfristig wirkte – mit den bekannten fatalen Folgen.
Alles Geschehen ereignet sich auf und neben einer leicht antikisierten Mole. Das gibt den Choristen, die sich zur Kostümierung wohl aus der Altkleidersammlung bedienen mussten, Gelegenheit, ständig hin und her und auf und ab zu rennen. Einen Gag gibt es noch als Zugabe: drei intrigante Hexen – auch sie haben sich für ihr Outfit in der Altkleidersammlung bedient – ‚sinken’ im rosigen Luftschiff (oder war es ein U-Boot?) vom Bühnenhimmel hernieder, bringen nicht die ‚Nacht der Liebe‘, sondern sorgen für die bekannte Katastrophe.
Was soll das Ganze? So fragt man sich. Haben es Regie, Bühnen- und Kostümbildner darauf angelegt, Purcell zu erledigen? Konnten sie mit dem kurzen Stück nichts anfangen? Wollten sie ihm jegliche Aura austreiben? Ob gewollt oder ungewollt, es ist ihnen gelungen.
Wenn sie es nur dabei gelassen hätten, Purcell zu ‚dekonstruieren‘. Sie schlugen noch dazu mit der Betroffenheitskeule zu. Bevor die Musik einsetzt, darf eine in die berüchtigte Flüchtlingswolldecke eingehüllte Schauspielerin („la femme de Chîpre“) die Vorgeschichte erzählen. In dieser Vorgeschichte wird aus Vergils Dido, die vor der Tyrannei in ihrem Heimatland floh, eine tyrannische Herrscherin in einer Kolonie. Angesichts dieser Vorgeschichte, so sollen wir wohl dann das Finale verstehen, ist der ‚Todestrank‘, den die „Femme de Chîpre“, jetzt in der Rolle der Voodoo Priester, Dido bringt, sozusagen ein Racheakt der Unterdrückten. Dass bei einer solchen Deutung die berühmte Abschiedsszene der Dido „When I am laid in earth“ ihren Sinn verliert, wen interessiert das schon. Dem Publikum hat’s gefallen. Es hat ja auch nur 75 Minuten gedauert.
Es war eine laue Sommernacht. Der Mond schien. „Der Mond ist der Mond. Lass uns nach Hause fahr’n“ (frei nach Oscar Wilde).
Wir besuchten die Aufführung am 17. Juli 2018.
Im nächsten Jahr übernimmt Pierre Audi die Intendanz. Hoffen wir, dass der langjährige Amsterdamer Intendant das Festival in Aix-en-Provence vor der vollständigen Provinzialisierung bewahrt.