Episches Propaganda-Theater nebst Sinnsuche. Prokofjew, Krieg und Frieden am Staatstheater Nürnberg

Keine Frage, dass Prokofjew zu den Starkomponisten des 20. Jahrhunderts gehört. Keine Frage, dass Der feurige Engel mit seinem Ineinander-Übergehen von scheinbar ‚Realem‘ und Phantastischem, von Krankheit und Wahn, von Märchen und Satire große Oper ist, zumal dann, wenn diese in der Bayerischen Staatsoper von einem Theatermacher wie Barrie Kosky so grandios in Szene gesetzt wird.

Doch Krieg und Frieden, das Spätwerk vom Jahre 1941, zu dem der Komponist auf der Basis von Tolstois Roman selber das Libretto verfasste, zählt diese Oper wirklich zu den großen Werken Prokofjews?

Diese Mischung  aus ‚vaterländerischer‘ Propaganda und spätromantischer Sinnsuche, dieser monumentale Schinken mit seiner zumindest in weiten Teilen doch recht konventioneller Musik, lohnt sich da wirklich die erneute Ausgrabung?

Im Staatstheater Nürnberg hat sich die neue Leitung (Joana Mallwitz als Generalmusikdirektorin und Jens-Daniel Herzog als Intendant )entschieden, mit Krieg und Frieden ihre erste Nürnberger Spielzeit zu beginnen und noch dazu selber die Produktion zu verantworten.

Keine Frage, dass im Graben auf hohen Niveau musiziert wird und die ‚romantischen‘ Passagen geradezu anrührend wirken. Doch die von den Propaganda Chören und den Militärmärschen leicht genervte Zuhörerin hätte sich gewünscht, dass man die Zugaben für Stalins Funktionäre gestrichen oder sie zumindest ironisch gebrochen hätte. Dem stand wohl der Wunsch des Regisseurs entgegen, revolutionäre Volksmassen, kampferprobte Partisanen und Gewaltszenen in der Etappe auf der Bühne zu bringen – und sich nicht nur an Brechts epischem Theater und dessen kommentierten Bilderfolgen, sondern  auch an Propaganda-Wochenschauen und historischen Kriegsfilmen zu orientieren.

Ich fand das alles ein bisschen viel und mitunter auch abstoßend. Ein Theater und erst recht ein Opernhaus ist doch nicht der Ort für Hyperrealismus oder Reality Shows. Inmitten der konventionellen Gewaltszenen gibt es indes eine Szene, die auf Gewalt verzichtet und dafür auf Zynismus setzt und damit um so stärker wirkt: Inmitten der grau kostümierten gefallenen Soldaten tritt plötzlich aus dem Dunkel  der Marschall Kutusow heraus – in der Uniform der napoleonischen Zeit – ein wiederauferstandener Kostümgeneral, der ohne auch nur einen Blick auf die Toten zu werfen, sich von der Ordonanz das Abendessen servieren lässt und den Befehl zum Rückzug gibt.

Und wie steht es mit den drei Sinnsuchern, dem reichen Erben und ‚Gutmenschen‘ Pierre (Zurab Zurabishvili) der verhuschten Natascha (Eleonore Marguerre) und dem todessüchtigen Fürsten Andrej (Jochen Kupfer)? Sie sind allesamt lebensuntüchtige Figuren, werden von der Regie nur leicht, eher liebevoll karikiert und dies auch ganz im Sinne des Komponisten, der ihnen die schönsten Melodien und die großen musikalischen Szenen widmet. Und alle drei werden ihren Rollen gerecht, und manchmal glaubt man sich in Tschaikowskys „lyrischen Szenen“ zu befinden.

Mit einem Kraftakt, mit einer Produktion, die das gesamte Ensemble erforderte und forderte, beginnt das Staatstheater Nürnberg die neue Spielzeit. Hoffen wir, dass für die nachfolgenden Produktionen noch Kraft vorhanden ist.

Wir besuchten die Aufführung am 13. Oktober. Die Premiere war am 30. September 2018.

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