Im Rokoko Ästhetizismus erstarrt und anschließend im Hyperrealismus erledigt. Romeo Castellucci versucht sich in Brüssel an der Zauberflöte

Theatermacher und Performer Castellucci, zurzeit das Hätschelkind oder das Enfant terrible der Feuilletonisten, ist immer für eine Überraschung gut. Verärgerte und provozierte er vor ein paar Jahren in Wien und Brüssel mit Glucks Orfeo, begeisterte er im letzten Sommer mit seiner Salome in Salzburg, so produziert er jetzt in Brüssel mit der Zauberflöte nur Langeweile und Überdruss. Nicht genug damit. Er reduziert noch dazu Mozart  zum billigen Soundtrack Lieferanten, der mit seiner Musik die Ambitionen der Regie eigentlich nur stört.

Und dabei fing doch alles so überraschend ‚schön‘ an. Alle Dialoge  und alle Mätzchen sind gestrichen. Nichts unterbricht Orchesterklang und Gesang. In weißen Rokoko Kostümen – hinter einem Gazevorhang – treten die Akteure auf. Die Solisten mit einem Double, so dass man nur schwer erkennen kann, wer singt und wer nur die Lippen bewegt. Während die Solisten, ohne je Kontakt miteinander aufzunehmen, von der Rampe herab singen, mimen im Bühnenhintergrund weiß gekleidete Tänzer und Statisten inmitten weißer „digitaler Grotesken“ (Michael Hansmeyer) so etwas wie den „Chor seliger Geister“. Oder sind vielleicht all diese Gestalten mit ihren rituellen Bewegungen lebendig gewordene Vasen oder Spielzeugfiguren aus der Rokokozeit? Oder vielleicht auch  Traumfiguren? Hat die Regie den ersten Akt der Zauberflöte in eine Traumerzählung in Rokoko Kostümen verwandelt? Eine Transformation, zu der ein gewisser Mozart eine sanft säuselnde Musik beigesteuert hat? Ein sehr ungewöhnlicher Beginn. So ein lustvolles Versinken im Ästhetizismus hatte man von Castellucci nicht erwartet.

Im zweiten Akt da gibt’s dann von allem das Gegenteil. Da wird zwar noch, wenn es sich partout nicht vermeiden lässt, Mozart (leidlich) gesungen. Doch Schikaneder wird zu Gunsten der ‚kreativen Phantasie‘ des heutigen Theatermachers erbarmungslos entsorgt. Spielort ist wohl der Gemeindesaal einer Sekte. Die Gemeinde unterhält wohl noch eine Säuglingsstation, eine Augenklinik und eine Abteilung für Opfer von starken Verbrennungen. So dürfen denn zu Beginn drei junge Frauen ihre Milch abpumpen, ein halbes Dutzend erblindete Frauen ausführlich ihre jeweilige Krankengeschichte erzählen. Und nach ihnen die Opfer von Verbrennungen die Ihrige vortragen. Die Texte werden etwas linkisch in englischer Sprache von Laienschauspielern vorgetragen, die im ‚Leben‘ ein solches Schicksal erfahren haben. Oder ist vielleicht alles ganz anders? Sind die Blinden und die Verbrennungsopfer fiktionale Figuren, die Texte von Claudia Castellucci aufsagen?

Was soll das, so fragen sich manche Zuschauer, die die Castellucci Masche des Ineinander-Übergehen von Fiktion und Wirklichkeit noch nicht kennen und die die Betroffenheitskeule, mit der unser Theatermacher um sich schlägt, nicht mögen. Was soll das. Wir wollten eigentlich nur eine Oper von Mozart und Schikaneder hören und sehen. So verlässt so mancher noch während der Vorstellung verärgert den Saal.

Der wohlwollende Opernbesucher, der die Castellucci Gags schon von dessen Orfeo her kennt, erinnert sich daran, dass es in der Zauberflöte  ja auch um Licht und Dunkel und eine elitäre Sekte geht und dass die Protagonisten eine Feuerprobe bestehen müssen. So nimmt man an, dass die Feuer- und Blindheitsgeschichten wohl von den genannten Schikaneder Themen inspiriert worden sind. Die Betroffenheitskeule, die hat sich Castellucci – und mit ihm schon so viele andere Regisseure, die unheilbar am Brecht Schaden leiden, wohl aus dessen verstaubter Theaterkiste geholt. Seien wir  nicht so streng. Ein so bekanntes und abgespieltes Stück wie Die Zauberflöte in Szene zu setzen, das ist wirklich eine Crux.

All das ändert indes nichts daran, dass unser berühmter Theatermann in Brüssel mit seiner Zauberflöte nichts anderes als Langeweile produziert hat, ein tödliches Gift für jeden Theaterabend. Da half auch nicht viel, dass Maestro Manacorda ein bisschen gegen zu steuern suchte und die Sänger sich alle Mühe gaben. Sie standen auf verlorenem Posten.

So begann denn die Saison am Théâtre de la Monnaie mir einem grandiosen Flop. Wir besuchten die Aufführung am 20. September, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 18. September 2018.