Don Giovanni, Orlando, Mitridate. Zwei grandiose Wiederaufnahmen in Amsterdam und Zürich. Ein szenisches Desaster in Brüssel

In Amsterdam hat man den Salzburger Don Giovanni eingekauft, eine Inszenierung, die Claus Guth vor einigen Jahren für die Festspiele erarbeitet hatte. Eine Inszenierung, die mir damals in  Salzburg überhaupt nicht gefallen hat, ja mehr noch: ich fand  die Konzeption abwegig : Don Giovanni, ein drogenabhängiger, todessüchtiger Waldschrat, der zusammen mit Leporello in den deutschen Wäldern haust, der vom Waldbesitzer angeschossen wird, der langsam verblutet und der im tödlichen Fiebertraum noch einmal seine drei letzten Liebesgeschichten erlebt, der im Waldbesitzer seinen Totengräber erkennt und ganz unspektakulär, ganz ohne Höllenfahrt und Geistererscheinung, am Blutverlust stirbt.

Jetzt in Amsterdam erschien mir die von Guth vorgeschlagene Variante des Don Juan Mythos durchaus einsichtig und in ihrer szenischen Umsetzung konsequent und stringent, nicht zuletzt auch deswegen, weil die Don Giovanni Tragödie, die so gar nichts mehr von einem Drama giocoso hat, sich mit der Donna Anna Tragödie verbindet: Donna Anna erlebt mit Don Giovanni die ‚Liebe als Passion‘. Oder ist diese Variante nur eine Variante innerhalb  des Fiebertraums des moribunden Don Giovanni?  Die Regie lässt die Frage offen. Unbestimmt bleibt auch  das Motiv des Waldes. Ist dieser Wald der Märchen- und Zauberwald aus dem Sommernachtstraum, in dem sich die Handelnden verlieren und

an sich selber irre werden? Ist Guths Don Giovanni Variante vielleicht ein Shakespeare Pastiche? Mögliche Deutungen, die mir damals in Salzburg entgangen sind, wohl auch weil ich damals noch zu sehr an die traditionellen Inszenierungen gewöhnt war.

Ein faszinierender Opernabend in Amsterdam. Dass alle Rollen grandios besetzt waren, versteht sich in Amsterdam von selber. Wir sahen die Vorstellung am 21. Mai 2016.

Am Zürcher Orlando, einer Inszenierung, die ich vor zehn Jahren schon einmal gesehen hatte, habe ich keine Neuentdeckung gemacht. Amüsant und kurzweilig und gar nicht abgespielt wirkt die Inszenierung immer noch: Orlando, ein traumatisierter italienischer Offizier aus dem ersten Weltkrieg, wird in einem Zauberberg Sanatorium, in dem sich auch die Filmdiva Angelica und ihr Liebhaber Medoro alias Valentino aufhalten, von seinem Trauma, der Schwärmerei für die Diva, geheilt und darf fortan als seine eigene Kriegsheld Statue fungieren. Ein komödiantischer, um nicht zu sagen: ein parodistischer Ansatz, der im merkwürdigen Kontrast zur Musik steht. William Christie und La Orchestra La Scintilla haben sich für einen absolut melancholischen Händel entschieden , für ein ‚Ertrinken, Versinken‘ in Melancholie. Eine Interpretation, wie ich sie schon lange nicht mehr gehört habe.

Doch was den Zürcher Orlando zum Erlebnis, zum großen Opernabend, werden lässt, das sind zwei Stars der internationalen Opernszene: Julie Fuchs als „la Bella Angelica“ und Bejun Metha in der Titelrolle. Um beide zu hören, lohnt sich schon die Reise nach Zürich. Wir sahen die Vorstellung am 24. Mai 2016.

Nicht gelohnt hat die Reise nach Brüssel. Nicht dass im Mitridate nicht exzellente Mozartsänger zu hören gewesen wären, wenn sie denn im Ausweichquartier der Brüsseler Oper, einem Zelt in einem ehemaligen Industriegelände, über das in kurzen Abständen die Flugzeuge donnern, zu hören waren. Das sind äußere Umstände, die man zu tolerieren hat. Doch wenn dann noch eine Inszenierung dazu kommt, die aus einer opera seria, in der die Liebesdiskurse durchdekliniert, Pardon, durchgesungen werden, modisch schick eine EU Konferenz nebst Pressezirkus machen will und diese Konzeption überhaupt nicht aufgehen will….Und wenn das Publikum mit dem Stück nichts anzufangen weiß und sich langweilt : die Dame vor mir  spielte die ganze Zeit über mit ihrem blonden Schopf und träumte wohl von ihrem Friseur, das Liebespaar neben mir war ausgiebig mit dem Vorspiel beschäftigt und träumte wohl vom Alkoven, der freundliche Herr hinter mir schlief fest und ließ sich auch vom langen Klingeln seines Telefons nicht stören, und endlich aufgewacht, wusste er es nicht abzustellen…

Ja, wenn das alles zusammen kommt, dann erlebt man die Parodie eines Opernabend und geht spätestens nach der zweiten Pause und trinkt zum Trost belgisches Bier. So haben wir es gehalten.

Wir erlebten die Oper im Zelt am 19. Mai 2016.