Mozartwoche 2016 in Salzburg

Alle Jahre wieder. Hochkultur auf der Szene – getragen von durchweg jungen Künstlern der Spitzenklasse –  und viel Gebrechlichkeit im Saale. Alle Jahre wieder. Die Salzburger Mozartwoche ein Treffpunkt der internationalen Truppe  der Luxusrentner, der ‚Rentiers‘. „Allein, was tut’s“. Ich will „die schöne Musi“ hören. „Da muß ma weinen“. Nein, das nicht. Eher erfährt der Zuhörer ‚maraviglia‘ und ‚stupore‘ im manieristischen Sinne. Kunst, Musik auf hohem, wenn nicht gar auf höchstem Niveau. „Musik ist heilige Kunst“ (Hofmannsthal).

Die c-Moll Messe, die man doch schon so viele Male in der Barockkirche Sankt Peter gehört hat, ist weit eindrucksvoller, klingt um vieles schöner, vielleicht auch feierlicher, wenn sie Gardiner mit den English  Baroque Soloists und dem Monteverdi Choir und einer so grandiosen Sopranistin wie Amanda Forsythe im Großen Festspielhaus zelebriert – vielleicht auch schon deswegen weil dort die Akustik wohl besser ist als in der Kirche – zumindest schien es mir so.

In diesem Jahr müsste die Mozartwoche eigentlich Mendelssohnwoche heißen. Mendelssohn Bartholdy ist der eigentliche Star. So viel Mendelssohn wie in der diesjährigen Mozartwoche habe ich noch nie auf einmal gehört. Lieder, die Anna Prohaska in Vollendung vorträgt, Romantisme pur. Sinfonien wie die Italienische und die Schottische, die die Wiener Philharmoniker spielen. Populäre Stücke, die man schon so viele Male gehört hat und die doch, wenn sie so perfekt  dargeboten werden wie jetzt in Salzburg, ganz neu klingen. Oratorien. Nein, nicht Oratorien: protestantische Opern im romantischen Stil: die Symphonie-Kantate „Lobgesang“: ein gewaltiges Pasticcio aus Beethoven, Schubert, Bach und natürlich Mendelssohn selber. Und dann nicht minder gewaltig: „Elias“: die protestantische Oper als Grand Opéra. Dieser Elias hat vor allem im ersten Teil beinahe alles, was die Grand Opéra ausmacht. Es fehlt nur die Liebesgeschichte. Dafür herrscht an Chorszenen und großen Solistenauftritten kein Mangel. Der Fluch des Propheten Elias, die Auferweckung des toten Kindes, der öffentliche Disput mit den Baal-Priestern, die Anrufung und die Beschwörung Jahwes, der Fanatismus des Propheten und im zweiten, im mehr lyrischen Teil, die Verzweiflung des Elias angesichts der scheinbaren Vergeblichkeit seiner Mission, die Tröstung durch den Engel usw.

Wie schade, dass Mendelssohn aus diesem Stoff und dieser Musik nicht auch offiziell eine Oper gemacht hat. Aber vielleicht setzen Theatermacher wie Claus Guth oder Christof Loy den Elias einmal in Szene. An Theatralik und dramatischen Möglichkeiten mangelt es in diesem Oratorium ja nicht. Wenn bei dieser möglichen szenischen Umsetzung dann auch  so grandios gesungen würde wie jetzt in Salzburg – hier sang Christopher Maltman  die Titelrolle – dann dürfte einem großen Erfolg des Elias als Grand Opéra nichts im Wege stehen.

Für ein besonderes Juwel in der diesjährigen Konzertreihe hat, wie nicht anders zu erwarten war, Maestro Minkowski gesorgt: Acis und Galatea in Händels Originalfassung und in deren Bearbeitung von Mozart und Mendelssohn. Ein Abend, an dem barocke und romantische  und klassische Musik unmittelbar gegeneinander gestellt werden, gleichsam als Variationen über ein großes Thema, und der Zuhörer implizit  die Fassung wählen kann, die ihm am meisten zusagt. Großes Orchester gegen solistisch besetztes kleines Orchester, großer Chor gegen nur von den Solisten getragenem kleinem  Chor, romantische Arien gegen barocke Arien. Es geht nicht um einen Wettbewerb der Stimmen und der Klänge. Sagen wir einfach. Beide Stile faszinieren. Jeder auf seine Art. Dass brillant gesungen und musiziert wurde, das versteht sich von selber.

Stirbt das klassische Konzertpublikum bald aus? Siecht im angeblich so dekadenten Europa die Musikkultur dahin? In Salzburg tut man etwas dagegen. Maestro Minkowski dirigiert eben nicht nur die Wiener Philharmoniker und die Musiciens du Louvre Grenoble, sondern auch das Salzburger „Mozart Kinderorchester“, und selbst bei den so teuren Wiener Philharmonikern finden sich neben den ‚Rentiers‘ Schüler im Saale. Wünschen wir der Salzburger Mozartwoche noch ein langes Leben.