Szenen einer griechischen Tragödie. Henry Purcell, Dido and Aeneas bei den Salzburger Festspielen

Purcells Oper – so liest man im Programmheft, im gelehrten Essai des englischen Professors Michael Burden, – sei die einzige Vertonung des Dido/Aeneas Mythos, die sich im Repertoire gehalten habe, sei „eine der populärsten Barockopern überhaupt“ und sei im Jahre 1689 in einem Mädchenpensionat uraufgeführt worden.

In Salzburg sind wir nicht im Pensionat für höhere Töchter. Hier inszeniert  Thomas Hengelbrock, der zur musikalischen Leitung gleich die Regie mit übernommen hat, auf der weiten Bühne der Felsenreitschule eine im Wortverstande schwarze Tragödie. Dunkel  und leer ist die Bühne. Im langen schwarzen Kleid tritt Dido auf – von Anfang an vom Tode gezeichnet. Schwarz gekleidet ist auch die Zauberin, die sorceress, Didos Gegenspielerin und zugleich ihr Alter Ego, „die andere, dunkle nächtliche Dido“ (Thomas Hengelbrock). Dieser anderen Dido, die das Geschehen bestimmt, weist die Regie weit über das Libretto hinaus breiten Raum zu. In einem hinzugefügten Prolog, den Johanna Wokalek, die auch die Rolle der Zauberin übernommen hat,  aus  Texten der Aeneis, Busenellos Libretto Didono und aus Nietzsches Gedicht Die Bösen liebend montiert hat und zu dem  als Soundtrack ein Lamento von Cavalli gespielt wird, wird der Zuhörer auf das Böse eingestimmt, wird er gleichsam in das Böse, das im Finale triumphieren wird, hineingezogen. Ein Prolog, der,  so beeindruckend er auch ist und so brillant er auch vorgetragen wird, dramaturgisch  gar nicht notwendig ist. Purcells Oper braucht  eigentlich keine vorbereitende Deutung. Sie spricht in Musik und Text  deutlich für sich selber.

Was macht denn dieses kaum mehr als eine Stunde dauernde Stück so faszinierend und zugleich so populär? Seine Kürze, seine Einfachheit, seine so wunderschönen Arien und Chorszenen? Die Figur der Protagonistin, die an ihrer Leidenschaft „verbrennende“ Dido – „uritur infelix Dido“ heißt es schon bei Vergil (IV, 68)? Die (vielleicht nur vorgetäuschte) imperiale Mission des Aeneas, mit der er die schnelle Trennung von Dido begründet? Die diabolische Lust der Zauberin am Bösen, mit der sie Dido zerstört? Die Macht des Fatums, die jeglichen eigenen Willen, jegliche Selbstbestimmung des Menschen ausschließt?  Aus der Verbindung von all dem entsteht die Tragödie bei Purcell.

Und die Musik? Ich vermag sie nicht zu beschreiben. In jedem Fall – so schien es mir – eine ‚einfache‘ Musik, die nicht die Effekte sucht, die allenfalls im berühmten Lamento der Dido im Finale: „Thy hand, Belinda; darkness shades me […] When I am  laid in earth […]“  einen Effekt der Trauer und Verzweiflung, der Sinnlosigkeit setzt.

Einen Effekt setzt im Finale auch die Regie. Bühne und Zuschauerraum werden im Dunkel belassen. Licht spenden nur drei in Schalen lodernde Feuer. Grablichter für Dido. Für Dido, die den Blicken entschwindet. Und vielleicht auch für Aeneas, einen  von Dido gerade davon gejagten Aeneas.

Eine in Musik und Szene grandiose Aufführung. Zweifellos mit ein Höhepunkt der diesjährigen Festspiele. Wir sahen die Aufführung am 18. August 2015.