„Dramma giocoso“ – ein heiteres Stück, eine Komödie, eine Buffa, so lautet der (selten beachtete) Untertitel von Da Pontes Libretto. In Stuttgart hat Andrea Moser, die in Personalunion für Regie, Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, das Attribut ‚giocoso‘ im Wortverstande genommen und aus der angeblichen „Oper aller Opern“ eine Buffa, eine amerikanische Operette gemacht, die in einem Motel spielt, ein Stück, in dem alle Figuren ‚lustige Personen‘ sind, in dem zum Gaudi des Publikums immer wieder die konventionellen Theaterillusionen zerstört werden, (der Sänger des Don Giovanni tritt aus seiner Bühnenrolle heraus und küsst den Damen in der ersten Parkettreihe die Hand („Non si picca se sia rica, se sia brutta, se sia bella“), ein Stück, in dem alle Personen ‚dekonstruiert‘ werden, d.h. (in diesem konkreten Falle), dass alle ‚ komischen‘ Anlagen, über die diese gemäß dem Libretto verfügen, auf die Spitze getrieben werden, noch stärker parodiert und ins Komische verzerrt werden. Aus dem angeblichen Rebellen und Verführer Don Giovanni ist ein reicher Geschäftsmann geworden, der mit Dollarscheinen nur so um sich wirft und der sich mit den Damen, die er im Motel trifft, amüsieren will. Donna Anna ist eine unbefriedigte reife Dame, die von ihrem Methodistenprediger nie das bekommt, was sie sich erhofft, die dem Signor Giovanni in der Bar hinter dem Rücken des Predigers ein Zeichen gibt, auf dass er sie im Hotelzimmer besuche und die diesem wohl nur deswegen eine Szene macht, weil er sich zu früh aus ihrem Bett davon gemacht hat. Donna Elvira ist eine hysterische, magersüchtige Alkoholikerin, die nach Sex giert, und Zerlina ist ein Flittchen aus der Unterschicht, die in der Garage und auf dem Vorplatz des Motels eine Grillparty organisiert. Leporello ist ein mediterraner Prolet, der Komtur ist ein älterer Hotelgast, der mitnichten zu Beginn verscheidet, sondern im Streit mit Giovanni nur einen Stich abkriegt. Die Friedhofsszene hat er wohl mit Leporello ausgeheckt , und im Finale droht er – wegen seiner Verletzung noch ein bisschen wackelig auf den Beinen – diesem ein wenig mit der Pistole (Schusswaffen, das wissen wir inzwischen alle aus den Zeitungen, tragen die Amerikaner ja ständig mit sich herum). Ins Jenseits befördert sich Giovanni ganz alleine. Statt sich von den Freunden Masettos, die im Finale mit Knüppeln auf ihn eindringen, erschlagen zu lassen, erschießt er sich mit theatralischer Geste gleich selber. Und damit wir im Publikum trotz der Leiche auf der Bühne nicht vergessen, dass wir in der Operette sind, dürfen zu Don Ottavios Gejammer, (der sich beim Rondo der Donna Anna auch schon mal mit zittriger Hand aus lauter Frust erschießen wollte) und zur verlogenen Schlusskanzone die Damen sich um den Sommerhut Giovannis als Souvenir balgen.
All dies und noch vieles andere wird routiniert, gekonnt und mit leichter Hand, ohne jeglichen ideologischen oder gar metaphysischen Anspruch zum Amüsement und zum Gaudi des Publikums in Szene gesetzt. Don Giovanni light, eben als Buffa, als Operette oder, wenn man so will, als Musical. Und bei alledem kommt Mozart nicht zu kurz. Musiziert, gesungen und agiert wird, wie man es in Stuttgart erwartet und gewohnt ist: durchweg brillant und auf hohem Niveau. Ein heiterer Don Giovanni Abend, der ein schon festtäglich gestimmtes Publikum weder provozieren, noch ärgern, noch belehren will, der einfach unterhaltsames erstklassiges Musiktheater bieten will.
Natürlich hat man manche Szene in ähnlicher Form schon mal in anderen Häusern gesehen. Anders ausgedrückt: die Regie zitiert in variierender Form andere Inszenierungen, verweist implizit auf diese. Das Leitmotiv ‚Menschen im Hotel‘ war auch beim Zürcher Don Giovanni oder auch im Theater an der Wien oder auch an der Kölner Oper strukturbestimmend. Leporellos „Catalogo“ gab es auch in Köln als Videoclip-Show zu sehen. Dass Donna Anna nicht die unschuldig Verfolgte ist, dass Ottavio wohl Potenzprobleme hat, dass das Motiv des steinernen Gasts und das Thema der höllischen Bestrafung des Wüstlings schon zu Da Pontes Zeiten ein Kasperlespiel waren, dass die Degradierung und Banalisierung des Mythos heute gängige Münze ist, all das hat sich bei uns Theaterbesuchern längst herumgesprochen. Auch dass die an der Kunstgeschichte Interessierten ihr Zückerle bekommen, auch das erwarten wir im Publikum von unseren Theatermachern. In Stuttgart gab es gleich zur Ouvertüre das kunsthistorische Bonbon: drei Gäste, die mit sich selber beschäftigt sind, auf Barhockern an der Bar – von außen gesehen. Nightawks [Nachtschwärmer] hat Edward Hopper dieses Bild genannt. Und Nachtschwärmer sind in der Tat Donna Anna, Ottavio und Giovanni, die da in der Bar hocken und gleich ihre Spielchen beginnen werden.
Wir sahen die Aufführung am 22. Dezember, die 15. Vorstellung. Die Premiere war am 25. Juli 2012.