Das Rheingold als Grand Opéra Spektakel – eine Wiederaufnahme im Muziektheater Amsterdam

Als von Neubayreuth und vom ‚Regietheater‘ Verwöhnte oder auch, wenn  man so will, Deformierte vergisst man zu leicht, dass Das Rheingold zu einer Zeit geschrieben wurde, als die französische grand opéra die Spielpläne dominierte. Warum, so mag sich Pierre Audi, als er vor nunmehr fünfzehn Jahren Das Rheingold in Amsterdam in Szene setzte, gefragt haben, soll man den „Vorabend“ zum Ring des Nibelungen  also nicht im Stil der grand opéra inszenieren. Warum nicht auf alle ideologischen Botschaften und Welterklärungsmodelle verzichten, keine mehr oder weniger weit hergeholten Aktualisierungen versuchen, Metatheater und Bildzitate beiseitelassen, warum sich nicht Wagner, dem „Schauspieler-Genie“, (Nietzsche) Wagner, anvertrauen, auf die Effekte seiner Musik und seines Librettos setzen und ein großes Spektakel in Szene setzen.  Und so geschah es im Amsterdam.

Die Bühne ist offen. Kein Vorhang trennt sie vom Zuschauerraum. Der Orchestergraben ist so tief wie möglich abgesenkt. Zwischen Bühne und Zuschauerraum eine relativ breite Passarelle als zusätzliche Spielfläche. Eine Treppe, die  in den Orchestergraben hinab führt, fungiert als dritte Spielfläche (Auf dieser Treppe werden Wotan und Loge Alberich fangen und binden). Eine schräg gestellte Glaskonstruktion, eine Art Glasdach füllt einen guten Teil der Vorderbühne aus (Auf dem Glasdach werden die Rheintöchter herumtollen und ihr Spiel mit dem plumpen Alberich treiben, der immer wieder auf dem Glas ausrutscht). Je nach szenischer Notwendigkeit kann das Glasdach in die Waagerechte geschwenkt werden, und dann entsteht eine weitere Spielfläche unterhalb des Dachs. (Vom Glasdach herab wird Alberich vor Wotan und Loge seine Machtfülle demonstrieren. Erst als er zu den Göttern, die unterhalb des Daches auf ihn warten, herabsteigt, da ist es um ihn geschehen). Nicht nur im Bühnenbild, sondern erst recht mit der ausgiebig genutzten Bühnenmaschinerie feiert sich die Bühnentechnik in geradezu barocker Theatermanier selber. Da fällt Feuer vom Himmel, da sprühen die Drachen Flammen, da lodern die Loren, da wabern die Nebel, da ziehen Horden von Nibelungenzwergen, allesamt mit Wagnermaske ausgestattet, durch die Szene, da schreiten die Götter über eine veritable Stahlbrücke hin zu ihrer neuen Burg. Da erschlägt der Riese den Bruder mit dem Stamm der  Weltenesche, der vom Bühnenhimmel herabhängt. Und die Riesen selbst sind Steinfiguren, gleichen aus Felsen heraus gehauenen verwitterten Figuren, die kaum etwas Menschliches haben. Und Analoges gilt für die beiden Nibelungen-Brüder.  Mime gleicht vom Kostüm her einer Art Kellerassel, und Alberich ist wohl als vorzeitlicher Höhlenmensch  mit groteskem Leib gedacht. Auch die Götter haben in ihren verfremdeten Masken und Kostümen nichts von dieser Welt. Freia im weißen Gewande mit goldener Perücke und einem Dutt oben drauf – eine Puppe aus dem Kinderzimmer für Erwachsene, und die anderen Götter in ihren blauen oder roten oder schwarzen Gewändern, das Haar unter einer Art Plastikschild verklemmt, verweisen sie auf eine fernöstliche Märchenwelt? Ich weiß es nicht.  Alles, was sich auf der Bühne tut: Feuerzauber, glitzerndes Gold, Wassernixen, Geistererscheinung: Ingredienzen des Märchens.  Raub und Betrug und Totschlag: Ingredienzen des Antimärchens, all dies setzt Theatermacher Pierre Audi spannend und spektakulär und unterhaltsam, eben in der Tradition der grand opéra, in Szene – und macht „vor Staunen mich stumm“.  Und „Wotan lacht. Gut, Alberich“. Und die Zuschauerin lächelt: Bravo, Pierre.

Unnötig zu sagen, dass in Orchesterklang und Gesang  in Amsterdam Exquisites geboten wird –  wie nicht anders zu erwarten war.  Und wenn schon die Regie auf das große Spektakel setzt, dann wollte Maestro Hartmut Haenchen sein Publikum wohl auch mit einem Gag überraschen: der berühmte Es-Dur Akkord erklingt in vollständiger Dunkelheit. Langsam, langsam (vielleicht so lange die Musik an der Grundtonart Es-Dur festhält?) wird es  Licht. Die Geburt des Rheingold Märchens aus dem Geiste  der Musik? Ein bisschen zu banal? Vielleicht.

Wir sahen die Aufführung am 30. November, die fünfte Vorstellung nach der Wiederaufnahme am 15. November 2012.