Huis Clos. Die Mär von den Eingeschlossenen. Christof Loy inszeniert Jenufa an der Deutschen Oper Berlin

Hinter verschlossenen Türen („Huis Clos“) leben sie alle. Eingeschlossen sind sie alle: die Küsterin, die Kindsmörderin, die in der Zelle an ihrem Tisch hockt und  ihre und Jenufas Geschichte sich noch einmal in Erinnerung ruft und diese gleichsam als Spielleiter für uns Zuschauer in Szene setzt und sich dabei selber als eingeschlossenen in die Konventionen des Dorfes vorführen muss. Konventionen, die sie dazu zwingen, wenn sie  für ihre Stieftochter einen Ehemann finden will, deren uneheliches Kind beiseite zu schaffen. Eingeschlossenen in ihre Träume und Triebe ist die junge Dorfschönheit Jenufa, die da von der großen Liebe träumt und mit einem gewalttätigen verschmähten Liebhaber, der angeblich zum sanften Ehemann mutiert ist, in der Ehehölle enden wird, die sich im Finale als großer schwarzer Raum vor ihr auftut. Eingeschlossen in sein Machogehabe ist Jenufas primäres Objekt der Begierde. Unmöglich ist es ihm, aus der Rolle des Machos heraus zu treten und die ihm von Jenufa aufgedrängte Rolle des Ehemanns anzunehmen.  Eingeschlossen in ihre Gebräuche sind die böhmische Trachten tragenden Dörfler. Das Eingeschlossen-Sein und das sich gegenseitige Quälen  ist die Grundkonzeption der Inszenierung, eine Konzeption, die Loy  – offensichtlich frei nach Sartres Huis Clos  – zur Metapher der ‚Existenz‘ erhebt. Bei dieser Konzeption braucht die Regie natürlich keine große Bühne. Ihr genügen ein enger abgeschlossener Raum als Spielfläche, ein Tisch und zwei Stühle als Requisiten. Der bekannte Minimalismus bei Loy, der auf Personen- und Bewegungsregie, auf das Spiel der Akteure miteinander setzt und aus dem Spiel heraus, ganz ohne zusätzliche Signale, ganz ohne Bühnenmaschinerie die Tragödie zweier Frauen oder, wenn man so will, die Selbstzerstörung zweier Frauen in Szene setzt. Das ist einfach großes Theater, Theater,  das aus Spiel und Gesang lebt und das an die kreative Imagination und an das kulturelle Gedächtnis des Zuschauers appelliert. Natürlich kann man Jenufa  auch als naturalistische Dorftragödie mit Besäufnis, Bauerntanz, Babygeschrei und öffentlicher Vorführung der Kindsmörderin, die die Leiche unter ihren Röcken versteckt hat, inszenieren und dann das Ganze in einem grotesken oder auch befreienden Lachen enden lassen. So hatte Calixto Bieito vor ein paar Jahren Jenufa in Stuttgart auf die Bühne gebracht. Das war damals höchst beeindruckend und für manchen im Publikum recht verstörend. Großes Spektakel bei Bieito. Subtiler Minimalismus bei Loy. Und beides funktioniert hervorragend.  Der eine hat sich bei den Naturalisten umgeschaut – und nimmt sie nicht ernst. Der andere erinnert sich an die  Mode des  Existentialismus – und nimmt ihn erst.  „Jed‘ Ding hat seine Zeit“, und auch ein scheinbar so simples Stück wie Jenufa lädt zu unterschiedlichen Deutungen ein. Zu Orchesterklang und Gesang mag die Dilettantin  nur sagen, dass mit Jennifer Larmore als Küsterin und Michaela Kaune in der Titelrolle zwei Stars auf der Bühne sangen und agierten und dass beide zu Recht gefeiert wurden. Zweifellos ein großer Opernabend.

Wir sahen die Aufführung am 20. April 2012. Die Premiere war am 4. März 2012.