22. 02. 09 Ein morbider Maeterlinck im „orchestralen Klangkolorit“. Pelléas et Mélisande an der Hamburgischen Staatsoper

Das lustvolle Quälen präraffaelitischer Kindfrauen, die kränkelnde Erotik der ‚femme fragile’, Angst und Verzweiflung, Trauer und Melancholie, Krankheit und Tod, hoffnungsloses Ausgeliefert-Sein an ein blindes Schicksal, eine düstere Antimärchenwelt, eine scheinbar einfache Sprache, hinter der sich Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit verbirgt und die jegliche Kommunikation zwischen den handelnden Personen verrätselt,  all dies sind Konstituenten, die das poetische Universum des „belgischen Symbolisten“ Maurice Maeterlinck bestimmen. Ob diese im weitesten Sinne morbide und zugleich geheimnisvolle Welt, in der jeder Gegenstand und jegliches Sprechen auf etwas Anderes, auf etwas Unbestimmtes, etwas ‚Symbolisches’ verweisen, ihre Entsprechung in Debussys Musik finden, dazu steht mir als Dilettantin kein Urteil zu. Doch wenn es, wie die Kundigen raunen, eine Art von „Klangmagie“ sein soll, die Debussys  Musik auszeichne, dann haben an diesem Abend die Hamburger Philharmoniker diese Magie in der Tat ‚hervorgezaubert’ und damit ihr Publikum fasziniert.

Und Gleiches gilt für Willy Deckers Inszenierung, eine Arbeit vom Jahre 1999, die auch jetzt bei ihrer Wiederaufnahme noch nichts von ihrem ‚Zauber’ verloren hat und die mit minimalistischem Gestus das albtraumhafte Maeterlinck Ambiente, in dem sich das Geschehen entwickelt und in dem die Handelnden den Zwängen der „fatalité“ erliegen, in Szene setzt. Golaud, im eleganten weißen Anzug, findet in einem Irgendwo Mélisande: eine Märchenprinzessin im weißen Kleid, das Königskind, das seine Krone nicht in einem Brunnen, sondern in einer Vertiefung, vielleicht einem Wasserloch verloren hat, dem Wasserloch, in dem der eifersüchtige Golaud  seinen vermeintlichen Rivalen Pelléas ertränken wird. Oder findet er eine zu frühem Tod verurteilte präraffelitische Kindfrau? Eine Ausgestoßene, eine Verlassene ?  Der todkranke Vater des Pelléas liegt auf einer  großen runden Scheibe, die Scheibe, auf der er genesen und  Mélisande sterben wird. Ist die runde Scheibe vielleicht das Symbol der Lebensuhr? Die Scheibe liegt über dem Wasser. Steht das Wasser für Tod und Fruchtbarkeit? Vielleicht auch für Reinigung und Wiedergeburt? In der berühmten Haarszene (der Rapunzelszene) steht Mélisande auf der Zinne eines Turms und lässt auf Pelléas nicht ihr Haar, sondern Schleier, in denen sich dieser verfängt, hinabfallen. Eine Szene, in der die erotischen Symbole nicht mehr unbestimmt, sondern geradezu überdeterminiert sind.  Auch dies ist ganz im Sinne Maeterlincks, der trotz aller Unbestimmtheit  auch zur Überdetermination neigt. Verweist die Schlussszene, wenn sich in den gläsernen Wänden, die den Bühnenraum umstellen, die Anfangsszene schemenhaft  wiederholt, auf den ewigen Kreislauf von Leben und Tod, Tod und Leben hin? Ist Golaud ein zu Gewalttätigkeit neigender Macho oder ist er ein Verzweifelter, ein Verletzter, ein letztlich Schuldloser? Ist Pelléas weniger ein Verliebter, sondern  vielleicht vor allem ein todessüchtiger Nachfahre des Tristan? Möglichkeiten, die die Regie – ganz wie es dem Maeterlinck Schema der Unbestimmtheiten und der Vieldeutigkeiten entspricht –  nur andeutet, die sie im Vagen lässt.

Symbolistisches Musiktheater zu inszenieren, dürfte wohl  mit zu den schwierigsten Regiearbeiten gehören. In Hamburg hat man einen brillanten Maeterlinck/Debussy in Szene gesetzt. Schade nur, dass durch Umbaupausen die „Klangmagie“ so oft unterbrochen wurde.

Die Premiere war am 26.September 1999. Wir sahen die Wiederaufnahme am 22. Februar 2009.