„Glück, das mir verblieb“. Robert Carsen inszeniert Korngold, Die tote Stadt als szenisches Potpourri an der Komischen Oper

Bei Theatermacher Carsen geht es drastisch und plakativ zu. Hier ist der um seine jung verstorbene Frau Trauernde kein Hypochonder, kein von Melancholie und Depressionen Geschlagener, sondern ein hochgradiger Psychopath, der den Totenkult um die  verstorbene Marie zur Obsession, zur Paranoia gesteigert hat und unter  Betreuung von Arzt und Krankenschwester sich in der Klinik das einstige gemeinsame Schlafzimmer  wieder eingerichtet, es mit Ikonen der Erinnerung  ausgeschmückt, sich eine „Kirche des Gewesenen“ geschaffen hat.

Einen Wendepunkt im Totenkult und in den exzessiven Wahnvorstellungen bildet die Begegnung, die wahnhafte Begegnung, mit einer anderen Frau. Marietta, in der der Kranke eine Wiedergängerin der Toten zu erkennen meint, eine zu seinem Entsetzen höchst irdische, erotisierende und ihn sexuell  faszinierende Variante seiner Marie. Beide Frauen werden ihm in seinem Wahn zu einer und verkörpern für ihn die topische Vorstellung von der Frau als Heilige und Hure. Ruhe und vielleicht auch Heilung von seinem Wahn findet der Kranke erst, als auch Marietta  tot ist, als er im Wahn, in einem Albtraum, Marietta mit dem Zopf der Marie erwürgt hat. So hat Paul, so der Name des Protagonisten bei Korngold, das ihn so bedrängende „ewig Weibliche“ endlich vernichtet.

Ein für einen Theatermacher wie Robert Carsen geradezu ideales Libretto, in dem er seine „Kunstfertigkeiten zu produzieren“ weiß. Leicht und unbeschwert, in schneller Folge, bietet er seinem Publikum ein Kammerspiel, ein Traumspiel alla Strindberg, ein Fallbeispiel aus der Praxis des Doktor Freud, ein Kriminalstück, Szenen aus Hollywoods Wunderland, eine Broadway Revue mit Marilyn, schwulen Tänzern  und vielleicht auch mit Fred Astaire und nicht zuletzt in der Person der Marietta eine femme fatale, deren Charme und deren verführerischer Macht sich kein Mann entziehen kann. Und nicht zu vergessen: auch für den katholischen Kitsch ist gesorgt: eine nächtliche Prozession mit der Jungfrau Maria im Sternenkranz, gleich  in vielfacher Ausführung, lässt den Patienten auch noch einem religiösen Marie Wahn verfallen.

Zu all dem erklingt aus dem Graben ein einlullender, verführerischer Soundtrack, eine Melange aus Strauss, Puccini und Schreker, eine raffiniert gemischte Klangdroge, deren Wirkung man sich kaum entziehen kann. Und für die Freunde der Operette gibt es noch die beiden so berühmten Schlager: „Glück, das mir verblieb“ und „Mein Sehnen, mein Wähnen“.

Eine brillante Inszenierung, die unaufdringlich und leicht mit einer Vielzahl von Materialien zu spielen weiß. Natürlich funktioniert das alles nur, weil mit Sara Jakubiak in der Rolle der Marietta eine herausragende Sängerin und Schauspielerin auf der Bühne steht, eine „Traumfrau“, die in Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung eine Idealbesetzung ist. Brillant besetzt ist auch die Rolle des unglücklichen Psychopathen Paul mit Ales Briscein.

Ein großer Opernabend in der Komischen Oper.

Wir besuchten die Aufführung am 25. Dezember 2018. Die 8. Vorstellung seit der Premiere am 30. September 2018.