Theater- und Filmemacher Serebrennikov hält es nicht mit den Liebesdiskursen des Settecento und auch nicht mit den Mythen der Aufklärung von der Manipulierbarkeit des Menschen und deren ironischer Verzerrung ins Parodistische, wie es einst Daponte und Mozart vorschlugen. Er optiert für das Handfeste: für Boulevardtheater, Klamotte, Parodie und Satire des Lifestyle junger Leute von heute und gibt dem Affen so richtig Zucker. Mit anderen Worten: er bedient die Altherrenphantasien über Weiber und Sex und provoziert so manchen der braven Zürcher Abonnenten zu blökendem Lachen. Sie wussten ja schon immer über die die Weiber Bescheid. Die wollen vor allem heißen Sex und als Zugabe Money fürs Shopping. Und wenn sie das nicht kriegen, dann werden sie hysterisch. So mag wohl so mancher im Publikum gedacht haben.
Eigentlich wäre, was sich da auf der Bühne tut, unerträgliches misogynes Zeug, ja wenn nicht von Anfang jedes zitierte Klischee bis zum Exzess durch Übertreibung und Ironisierung ins Parodistische und durchweg auch ins Satirische verzerrt würde – und gerade dadurch zum Lachen reizt. Und dabei ist das misogyne Klischee nur eins von vielen. Gleich zur Ouvertüre geht es los. Die narzisstischen Damen trainieren im Fitnessstudio auf dem Laufband ihren Speck ab, und eine Etage tiefer machen im selben Studio die nicht minder narzisstischen Herren Kraftsport. Selbstoptimierung auf dem Erotik Markt ist gefragt. Dass die jungen Damen, in der zweiten Szene legen sie eine Modenschau aufs Parkett, nicht nur ausgesprochen schöne Bühnenerscheinungen sind und noch dazu exzellent singen und schauspielern können, freut die Opernvoyeure ganz besonders. Da können die Männer trotz all ihrer Sportübungen nicht mithalten, und man versteht gleich, dass aus diesen großsprecherischen Typen keine Helden und keine Sexprotze werden können. Doch schön singen können sie immerhin.
Kaum sind die Männer unter tausend Treueschwüren in den Krieg gezogen, da kriegen die Damen auch schon deren Urnen zugestellt. Großes hysterisches Gejammer (Parodie der Lamento Arie), das sich aber schnell legt, als sich die neuen Liebhaber einstellen: arabische Prinzen aus der Wüste, die sich zunächst einmal für den Inhalt der Kühlschränke und den Fußball im Fernsehen interessieren und den Damen eher gelangweilt den Hof machen. Weiber sind halt doch nur erotisches Spielzeug für die Herren aus dem Orient – dieses Klischee kennen wir alle. Und gleich kommt schon das nächste Klischee. Wenn die Herren aus der Wüste ihre Gewänder ablegen, dann erscheinen sie als so richtige Kotzbrocken und Sexprotzer, die den Weibern mal so richtig zeigen, was heißer Sex ist – und die haben letztlich nichts dagegen. Nennen wir das Ganze, was uns Zuschauern als Voyeure vorgeführt wird, Sex-Klamotte aus dem Eros-Center, nein besser: satirische Verzerrung einer Sex-Klamotte.
Serebrennikov belässt es nicht bei den flachen Sexspielchen. Die Spielchen werden von einer Art Traumdiskurs überlagert: die angeblich im Krieg umgekommenen Männer kehren als für die Damen unsichtbare schwarz gekleidete Gestalten zurück, singen gleichsam aus dem Off und schicken ihre Doubles an die Sexfront. Und diese machen zum Vergnügen des Publikums ihre Sache richtig gut und stellen die einstigen Liebhaber ins Schattenreich.
Im Finale da haben die scheinbar so emanzipierten Damen längst alles Selbständige, alles Moderne aufgegeben. Da posieren sie glücklich als russische oder mongolische Püppchen, fest in ihre Kleider und Mützen eingezwängt, fest an der Hand der Gatten – von Kostüm und Maske her Machos und Gangster. Die Satire auf misogyne Klischees hat ihren ‚Höhepunkt‘ erreicht. Ja, wir wissen schon, und Theatermacher Serebrennikov hat uns mit der Holzhammermethode wieder daran erinnert, dass die Weiber… Da hilft auch nicht mehr, dass Alfonso an die Wand schreibt:“Così fan tutti“ (sic). So machen es halt alle: Männlein und Weiblein.
Ob die Grundkonzeption der Regie: parodistische und satirische Präsentation von klischeehaftem Verhalten in den Beziehungskisten junger Leute von heute so richtig aufgeht? Vielleicht hätte Serebrennikov besser einen Così fan tutte Film drehen sollen, einen Film, der mit seinen Überblendungen und Rückblenden und seiner Mehrdimensionalität die Konzeption besser realisiert hätte? Hier im Theater musste sich die Regie mit Videoeinspielungen und mit den zwei Spielflächen einer Doppelstockbühne begnügen. Wie dem auch sei. Amüsant war es alle Male.
Von Mozart blieb außer einem gefälligen Soundtrack, der das Bühnengeschehen nicht störte, nicht sonderlich viel übrig, so große Mühe sich Maestro Cornelius Meister und die Philharmonia Zürich auch gaben und so brillant Fiordiligi (in der Person der Ruzan Mantashyan) und Dorabella (in der Person der Anna Goryachova) auch sangen. Im Finale gab es sogar eine Don Giovanni Einlage, wohl damit wir auch alle im Publikum mitbekommen, dass die düpierten naiven Liebhaber als Zombies aus dem Jenseits zurückkehren.
Die Herren mit Ausnahme des Don Alfonso (in der Person des Michael Nagy) konnten mit den Damen, so schien es mir, nicht so richtig mithalten. Sie hatten es ja auch besonders schwer, aus der „Statistenrolle“, die ihnen die Regie zugeordnet hatte, heraus zu kommen. Mussten sie doch nicht nur mit den Damen, sondern auch noch dazu mit ihren Doubles um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen.
Ob ich noch einmal hingehe? Parodie und Satire und Klamotte sind ja sehr unterhaltsam. Doch im Laufe von drei Stunden wird auch die beste Klamotte – langweilig.
Wir sahen die Vorstellung am 8. November 2018, die zweite Aufführung nach der Premiere am 4. November 2018.