Fünf Jahre lang hatte Maestro Marc Minkowski als künstlerischer Leiter die jährliche Mozartwoche verantwortet und zweifellos in dieser Zeit Maßstäbe gesetzt. Auch in diesem seinem letzten Salzburger Winter mangelt es nicht an Höhepunkten (wir kommen gleich darauf zu sprechen), doch leider dieses Mal auch nicht an Tiefpunkten.
Nennen wir nur zwei. Dass ein international berühmter Gesangstar, der vielleicht seine große Zeit als Mozarttenor schon hinter sich hat, zum Mozart Sound Faxen, Klamauk und Schmiere zum Gaudi des Publikums produzieren lässt, das mag vielleicht als nachmittägliches Unterhaltungsprogramm bei einer Kreuzfahrt angehen. Doch bei einer Matinee in der Stiftung Mozarteum ist ein solches Programm deplatziert und wirkte zumindest auf mich wie ein ärgerlicher Flop.
Ein weiteres Beispiel: nicht deplatziert, aber als Selbstparodie des Festivals wohl kaum verstanden, war der Rezitationsabend zum Thema Langeweile, auf dem ein berühmter Schauspieler gleichsam eine Anthologie der Langeweile vortrug und bei dem die Franui Musicbanda mit ihren schrägen und gezielt parodistisch verzerrten Anleihen bei Mozart, Schubert, Satie, Bartók, John Cage den Sound dazu lieferte. „Langeweile produziert Langeweile“ hörte ich in der Pause jemanden kommentieren. Und wer des Deutschen nicht mächtig war – und davon gab es so manchen im Publikum – der war recht übel dran.
Es gab sicherlich noch die eine oder andere Aufführung, die wie die genannten nicht unbedingt festspielverdächtig war. Doch wir wollen nicht weiter mäkeln. Nennen wir einfach die Highlights, die wir miterleben durften. Sagen wir lieber, dass Haydns Es-Dur Symphonie oder auch die Jupiter Symphonie, wie sie Adám Fischer mit den Wiener Philharmonikern zelebrierte, ein Ereignis, Sternstunden für die Zuhörer waren. Oder sagen wir auch, dass die Virtuosität und die Phantasiemächtigkeit, mit der Fazil Say Mozarts Klaviersonaten spielt und mit diesem seinem Spiel zugleich an die Imagination seiner Zuhörer appelliert, sagen wir einfach, dass dies mehr als beeindruckend ist.
Einsamer Höhepunkt der diesjährigen Mozartwoche und zugleich das Abschiedsgeschenk Minkowskis an Salzburg war indes Mozarts Requiem in der Felsenreitschule – in der Regie und Choreographie der Académie équestre de Versailles unter der Leitung von Bartabas. Geistliche Musik zu choreographieren, das ist nicht neu. Ich glaube, es war Neumeier, der die Matthäus Passion in Tanz transponiert hat. Der Tanz als liturgischer Akt – auch das ist bekannt – weist auf eine lange Tradition zurück – auf den Tanz des Königs David um die Bundeslade oder auch auf den Tanz der heidnischen Priester um ihre Götzen. Bei Bartabas indes ist ein liturgisches Geschehen zu bestaunen, das ich in dieser Form zuvor nicht kannte. Bartabas lässt Pferde und Reiter (genauer: Reiterinnen) zu Protagonisten der Liturgie werden, setzt die Musik in ein Reiterspiel um. All das lässt nicht einen Augenblick an Zirkus oder gar an zirzensische Kunststücke denken. Bartabas lässt sich bei der getragen langsamen, rituellen Bewegung der Pferde und auch bei manchen Kostümen der Protagonisten vom Schauspiel der Nazarener bei der Semana Santa inspirieren, macht überdies wohl auch Anleihen bei den Son et Lumière Spektakeln, wie sie in den Sommermonaten in französischen Schlössern geboten werden. Und für eine solche Inszenierung aus Licht und Musik ist die Felsenreitschule mit ihrer Galerie der Grotten der adäquate Ort. Orchester, Chor und Solisten sind in die einzelnen Grotten platziert, die Bühne gehört den Pferden und den Reiterinnen. Auf der Bühne dominiert die Farbe Schwarz, in den Grotten ein rötliches Licht. Ein düsteres, geradezu unheimliches Ambiente, das das Publikum von Anfang an gefangen nimmt. Das Schau-Spiel beginnt mit einer Beerdigungsprozession: auf den Rücken der Pferde liegen die Reiterinnen, sind Tote, die von ihren Pferden auf die Szene getragen werden. In rascher Folge reiht sich in der Folge Bildszene an Bildszene, fesselt die Aufmerksamkeit der Zuschauer, lässt die Musik beinahe vergessen, bis sie im Finale dominiert: Pferde und Reiterinnen formen ein Tableau Vivant, und der Chor intoniert – zusammen mit den Reiterinnen – das Ave Verum.
„Pferdeoper“ – wie ein Kritiker hämisch meinte. Nein, ein großes Spektakel, das ergreift und fasziniert. Ein Requiem, ein Ort der Trauer und der Melancholie. Hier trauert alle Kreatur. – Wir sahen die Premiere am 26. Januar 2017.
Vom Festival der Rentiers und der Luxusrentner sprachen wir anfangs. Die Überalterung, um nicht zu sagen: die Gebrechlichkeit großer Teile des Publikums ist mir in diesem Jahr besonders aufgefallen.