Leid und Liebe und ein halbes Happy End. Damiano Michieletto inszeniert Massenet, Cendrillon an der Komischen Oper

Keine glitzernden Koloraturen, kein strahlendes Finale mit obligatorischer Bravourarie der Primadonna wie bei Rossinis Cenerentola, keine versoffenen Banker auf der Szene wie in der Stuttgarter Rossini Inszenierung.

Massenets Aschenputtel Variante vom Jahre 1899 steht Rossini fern. Zur Musik, ich hatte Cendrillon nie zuvor gehört, geschweige denn auf der Bühne gesehen, mag und kann ich nichts sagen. Eine gefällige, spätromantische Musik? Wohl auch ein bisschen Kitsch? Massenet –  so Maestro Henrik Nánási im Programmheft –  sei „ein handwerklich unglaublich professioneller Komponist von großer Könnerschaft: Harmonik, Form und Orchestrierung bilden eine Einheit“(p. 13).  Das mag schon so sein.

Sprechen wir lieber von der der Inszenierung. Sie hat alles, was man von Michieletto kennt und auch erwartet: Witz, Komik und Groteske und eine neue Geschichte  und als Zugabe noch eine Prise Kitsch. Ein hybrides Geschehen setzt die Regie in ihrer Aschenputtel Version in Szene: eine Überlagerung, ein Wechselspiel von Märchen, Traum und ‚Realität`. Auslöser der Handlung ist ein Märchenmotiv. Eine alte Frau, die Fee aus dem Märchen, bringt die Ballettschuhe, die Cendrillon anziehen wird, wenn sie mit dem Prinzen tanzen wird – im Traum. Cendrillon – und dies ist das ‚Reale‘, das in die Märchen- und Traumwelt einbricht, wird nie mehr tanzen können. Die Primaballerina der Ballettkompanie hat sich am Bein verletzt, liegt im Spitalbett, ist zum Objekt des Spotts und der Niedertracht der Kompanie geworden. Eine Kompanie oder besser gesagt: eine Ballettschule, die aus lauter grotesken Figuren besteht, Karnevalsfiguren, die dem Männerballett der Kölner Karnevalsgesellschaft Cäcilia Wolkenburg entlaufen sein könnten. Einzig der erste Solist, „Le Prince Charmant“, hat mit dieser grotesken Welt nichts zu tun. Er ist ein Melancholiker, den nichts aufheitern kann und der (vielleicht?) von der großen Liebe träumt. Und da wir – so will es die Regie – nicht nur in der ‚Realität‘, sondern in einer Traum- und Märchenwelt sind, erfüllt sich der Traum des Prinzen und Cendrillons. Die Fee und mit ihr sechs Geister („Six Esprits) weben ihr ein blaues Kleid und versinken dabei selber in einer Unmenge von blauen Tüll, die Verletzung ist ausgeheilt, und im Tanz mit dem Prinzen kann Cendrillon diesen für sich gewinnen. Doch zum Märchen gehört die Prüfung des Helden und in unserem Fall die Auflösung des Märchens in der Konfrontation mit dem ‚Realen‘.  Eine Prüfung, die der Held besteht. Der  erste Solist wirft Ballettkostüm und Ballettschuhe von sich und bekennt sich zur Tänzerin, die sich auf Krücken stützt. „Omnia vincit Amor, et nos cedamos Amori.“ Ein Märchen für Erwachsene? Kitsch aus der Regenbogenpresse?  Nein, ganz einfach. Großes Musiktheater mit einer höchst brillanten Sängerin und Tänzerin und Schauspielerin in einer Person. Nadja Mchantaf in der Titelrolle.

Wir sahen die Premiere am 12. Juni 2016.