Ein sich immerfort drehender Reigen von Arien und fraktalen Bildzitaten. Giulio Cesare in Egitto an der Komischen Oper

Nach der so spektakulären Don Giovanni Komödie, die wir kürzlich dort gesehen haben und nach dem in Szene und Musik nicht minder grandiosen Giulio Cesare glaube ich gern, dass  die Komische Oper unter den Musiktheatern zu den ersten Häusern zählt. Hier singt und spielt ein durchweg hochkarätiges Ensemble. Auf der Szene ereignet sich großes Theater: unverstaubt, ungewöhnlich in der Konzeption, aufgeschlossen, voller Witz, unterhaltsam und zugleich anspruchsvoll. Theater, Musiktheater, das begeistert und fasziniert, das an die Imagination des Zuschauers appelliert und das nicht zuletzt auch zum Widerspruch provoziert.

Im Giulio Cesare -sagen wir es gleich und ohne alle Umschweife – wird in allen Rollen herausragend schön gesungen. Vielleicht allen voran Valentina Farcas in der Rolle der Cleopatra und Ezgi Kutlu als Cornelia. Mit welcher Brillanz beide die Affekte, die die Musik ihnen vorschreibt, umzusetzen wissen, das ist bewundernswert. Nur eines hat mir beim Musik Part  trotz allem Respekt vor der Kompetenz von Maestro Junghänel nicht zugesagt: die Besetzung der Titelrolle mit einem Bariton. Es mag ja sein – so argumentiert der Maestro im Programmheft -, dass der Bariton „selbstredend die männlichste aller Stimmen“ ist und dass mit dieser Besetzung des Cesare ein „starker Mann“ der „zentralen Figur der Cleopatra“ gegenüber gestellt wird. Ja, wenn man das Verhältnis der beiden Protagonisten zu einander so ‚real‘ sehen will… Mir scheint, dass mit einer solchen Umbesetzung ein guter Teil von all dem Witz, all der Ironie und Manieriertheit, die Händels Oper auszeichnet, verloren geht. Das Besondere ist doch, dass der so mächtige Cesare, besetzt man die Rolle mit einem Counter oder einem Mezzosopran, zur androgynen Figur wird, dass all Referenz auf das ‚Reale‘ zurückgedrängt wird und allein die ‚Kunst‘, die manieristische Kunst, dominiert. Beim ewigen Streit zwischen ‚Realismus‘ und ‚Manierismus‘ hat der Maestro wohl für den ersteren optiert.

Aber vielleicht zielt das Produktionsteam mit seiner Umbesetzung des Cesare auch auf einen gewollten Kontrast zur Regiekonzeption. Die Regie (Lydia Steier) setzt gerade nicht auf das ‚Reale‘, sondern schwelgt in einer Fülle von opulenten und grotesken Bildzitaten aus  Kunstgeschichte, barockem Maschinentheater und Film. Zentrale Referenztexte sind dabei wohl, wenn ich das recht verstanden habe, die Kultfilme von Peter Greenaway. Die Bildershow, die Collagen und fraktalen Zitate, die grotesken Kostüme verweisen wohl auf die Filme Prosperos Bücher und  auf Der Kontrakt des Zeichners. Die Motive Kannibalismus und Folter (die Hofgesellschaft kaut am abgeschlagenen Kopf des Pompeo, Tolomeo verspeist einen abgeschlagenen Kopf – den Kopf des angeblich erschlagenen Cesare, Sesto wird sadistisch gefoltert), all diese Szenen ließen sich als unmarkierte Verweise auf Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber verstehen. Doch diese Referenzen, ob sie nun gewollt oder nicht gewollt sind, ob sie sich nur in der Imagination und im kulturellen Horizont der Zuschauer ereignen, sind letztlich gar nicht so wichtig. Ein Vergnügen ist die Inszenierung alle Male, und der Wiedererkennungseffekt schafft nur noch zusätzliches Vergnügen.

Aufgesetzt und daher weniger vergnüglich ist der eher feministische Akzent, den sich unsere Theatermacherin nicht versagt. Vom „starken Mann“ hält sie wenig. Dominierende Figur ist für sie nicht der Titelheld, sondern Cleopatra. Eine eher gebrochene Cleopatra, die  zwar schon von Kindheit an dominiert (zur Ouvertüre erfindet die Regie die Kindheitsgeschichte und die frühe Rivalität mit dem Bruder), doch die immer wieder von Todesahnungen gequält wird. Zur Konkretisierung dieses Motiv erfindet die Regie eine stumme Schlangenfrau, die  durch die Szene geistert, und im Boudoir da steht eines der Gemälde, das den Selbstmord der Königin durch einen Schlangenbiss zeigt. „Zu viel! Zu viel !“ Cleopatra (in der Person der Valentina Farcas) beherrscht als Bühnenerscheinung,  Sängerin und Schauspielerin auch ohne diese Zutaten die Szene.

Giulio Cesare in Egitto ein Fest des Musiktheaters in der Komischen Oper, ein Fest, das man nicht versäumen sollte.  Wir sahen die Aufführung am 6. Juni 2015, die zweite Aufführung seit der Premiere am 31. Mai 2015.