Rimsky-Kórsakovs Oper hatte ich noch nie gehört – geschweige denn auf der Bühne gesehen. Allenfalls das berühmte Zwischenspiel im dritten Akt hatte ich wohl schon einmal in einem Konzert gehört – und war neugierig auf die Oper geworden. Zur Musik mag und kann ich als Laie nichts sagen. Ihre Einschätzung als „russischer Parsifal“, wie sie seit Jahrzehnten von der Kritik nachgebetet wird, erscheint mir indes etwas seltsam. Ob die „magnífica partitura“, „el esplendor de su orquestación, planteada desde los contrastes“ und die (scheinbare) Erlösungsidylle im Finale eine solche Analogie nahe legen oder gar rechtfertigen? Ich weiß es nicht. Eingängig ist die Rimsky-Kórsakov Musik alle Male, und vielleicht stehen wir ja vor einer Wiederentdeckung seiner Opern. In Berlin, in der Staatsoper im Schillertheater, ist Die Zarenbraut zu hören und zu sehen, und das Theater an der Wien plant für Ende dieses Monats gleich zwei Rimsky-Kórsakov Opern in konzertanten Aufführungen: Die Zarenbraut und Der goldene Hahn.
Neugierig auf Die Legende von der unsichtbaren Stadt haben mich auch die hymnischen Besprechungen der Amsterdamer Aufführung gemacht, die jetzt in einer Übernahme in Barcelona gezeigt wird. Ist diese Inszenierung, für die Dimitri Tcherniakov neben der Regie auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, wirklich so grandios? Muss sie wirklich so unkritisch gefeiert werden?
Spektakulär ist diese Inszenierung alle Male, und wie die Musik setzt sie auf Kontraste. Auf die Idylle in der unversehrten Natur, in der – ganz wie im Märchen – der Prinz auf das schöne, reine Mädchen vom Lande trifft und diese zur Gattin begehrt, folgt gleich im zweiten Bild die postsozialistische Tristesse mit billigem Volksfest und Besäufnis. In diese Tristesse brechen um sich schießende und brandschatzende Terroristen ein, ermorden die Feiernden und entführen das Mädchen, das auf dem Weg zu seinem Prinzen ist. Aus dem Einfall der Tartaren und aus den Vorbereitungen für die Märchenhochzeit, wie sie das Libretto wollen, ist der Terrorismus von heute mit Mord und Geiselnahme geworden. Kein Zweifel. Das ist eine durchaus schlüssige Aktualisierung des Geschehens. Ja, wenn man das so mag. Mir sind allerdings Gewaltexzesse und lang und breit ausgekostete Zitate aus Actionfilmen auf der Opernbühne schwer erträglich und vor allem dann, wenn die Regie im dritten Akt sich geradezu zur Pulp Fiction steigert, bevor sie im Finale den Erlösungs- und Paradiestraum des Mädchens als Delirium einer Sterbenden entlarvt und entmystifiziert und die Reine und Unschuldige in einem kahlen Wald, eben in feindlicher Natur, elend zugrunde gehen lässt.
Ja, wir wissen schon: die Erlösung findet nicht statt, das Paradies existiert nicht. Es gibt – mögen Libretto und Musik auch etwas anderes sagen – nur Gewalt und Tod und Wahnsinn. Kein Zweifel: die Inszenierung ist spektakulär – doch zugleich auch flach und eindimensional. Nihilistisch und abweisend in ihrer Botschaft. Was wir auf der Bühne sehen, das ist keine Legende und kein Märchen, keine Parabel von der Glaubensstärke oder vom „christlichen Russland“. Das ist Apocalypse Now.
Allgemeine Begeisterung im Publikum. Es wurde ja auch in allen Rollen überragend gesungen und gespielt, und an Spannung fehlte es bei dieser Mischung aus Märchen und Actionfilm ja auch nicht. Kein Zweifel: ein großer Opernabend in Barcelona – wenn man diese Art von Spektakel mag.
Wir sahen die Premiere am 13. April 2014. Die letzte Aufführung ist am 30. April 2014.
Mit diesem Highlight in Barcelona konnte das Teatro Real in Madrid mit seinem eher biederen Lohengrin nicht mithalten. Zwar singen und agieren in Madrid berühmte Wagnersänger, die man von den Musiktheatern in Deutschland her kennt. Keine Frage, dass sie ihre Rollen in Gesang und Spiel routiniert ausfüllen. Doch alles bleibt so eigentümlich fad und blass. Von der Wagnerdroge kaum eine Spur. Zum Eindruck des Faden trug nicht zuletzt auch die Inszenierung bei, die die Handlung in eine gigantische unterirdische Grotte verlegt. In Dantes Inferno oder in den Gulag? Natürlich bringt der Überirdische den Unterirdischen keine Rettung und keine Erlösung. Noch nicht einmal dem Knaben Gottfried: er wird im Finale als Statue präsentiert. Kein verlorener Abend im Madrider Frühling. Aber auch nichts Besonderes.
Wir sahen die Aufführung am 11. April 2014