Wenn man die so ungewöhnlichen, so spektakulären Rusalka Inszenierungen in Graz und in München gesehen hat, dann sind die Erwartungen hoch. Martin Kusej hatte in München den Undine/Rusalka Mythos als Variante der aktuellen Geschichten vom verkommenen Österreich erzählt. Und in Graz hatte Stefan Herheim den Mythos zu Wassermanns Nightmär umgedeutet und Rusalka zur kleinen Hure mit kleinbürger-lichen Sehnsüchten in einem Irma La Douce Ambiente gemacht. Und beide Male war aus dem „lyrischen Märchen“ großes Theater geworden.
Und in Nürnberg? Da weiß man nicht so recht, was man will. Großes Theater wollte man wohl nicht, sondern eher ein Kammerspiel und ein Märchen dazu. Ja, – das mag die Ausgangsüberlegung gewesen sein – ja, warum soll man, wenn das Stück sich im Untertitel „lyrisches Märchen“ nennt, es nicht auch als Märchen in Szene setzen: mit einem Tümpel, in dem der Wassermann haust, mit Mond und Sternen, mit einem schönen Prinzen im Galakostüm des 18. Jahrhunderts, mit einem puppenhaften Hofstaat, einer bösen Prinzessin und einem armen, liebessüchtigen Mägdlein. Und Liebe und Leid und Todessehnsucht. Ein Märchen durchsetzt mit der ambivalenten Symbolik des Wassers: mit Lust und Tod. Eben der Stoff, aus dem die Märchen sind.
In Nürnberg war das dem Regieteam entgegen dem ersten Anschein viel zu wenig und wohl viel zu naiv. So ein richtiges Märchen in Szene setzen, nein, das wollte man nun auch wieder nicht. Dort glaubte man, das Märchen aufmischen zu müssen, in guter alter Brecht Manie und Manier die Illusionen zerstören oder sie ironisch brechen zu müssen. Und heraus kam dabei so ein eigentümlicher Zwitter aus scheinbarer ‚Realität‘, Metatheater Signalen und Märchen für Kinder und Erwachsene mit pädagogischen Hinweisen auf die Zerstörung der Natur durch Umweltverschmutzung und die Unvereinbarkeit zwischen Mensch und Natur oder ganz allgemein zwischen böser Zivilisation und guter Natur. Rusalka ein Märchen mit Volkshochschulehrgeiz?
Nein, ganz so schlimm war es nun auch wieder nicht. Die pädagogischen Fingerzeige oder auch die desillusionierenden Hinweise kann man auch als Klischee Zitate oder auch als ironische Distanzierung vom Märchengeschehen verstehen – und so war es wohl auch gemeint. Da fischt der Wassermann aus seinem Tümpel den üblichen Zivilisationsmüll, da ist die Hexe so eine Art nymphomanisches Cybergirl, der Förster ein Bühnentechniker und der Küchenjunge eine Garderobiere, die Schwestern der Rusalka treten nur konzertant auf. Drei kleine, von Puppenspielern dirigierte Marionetten übernehmen ihre Rollen. Und das junge Liebespaar, das sich zur Ouvertüre in selbstmörderischer Absicht in den Tümpel stürzt, das ist im zweiten Akt wieder putzmunter und besorgt die Tanzeinlage und darf im Finale die Staatsroben anprobieren (Achtung Metatheater Signal: konzentrierte Widerspiegelung des Geschehens).
Im Gegenzug sind dann der Wassermann in seinem grünlichen Neptun Outfit, der Prinz im Staatsrock, die intrigante Fürstin in großer Staatsrobe und natürlich Rusalka im Schneewittchen Kostüm richtig schöne Märchenfiguren. Und da Schneewittchen noch dazu so rührend und liebes- und todessehnsüchtig singt und spielt und die Musik so eingängig und so schön neoromantisch aus dem Graben tönt, die Lichtregie für das Blau der romantischen Sehnsucht und das Blau der Träume eine Vorliebe hat, haben wir den Brecht Schaden, unter dem die Inszenierung leidet, nicht allzu ernst genommen. Dem Publikum hat’s gefallen. In der nächsten Saison schaue ich mir noch einmal die Kusej Rusalka in München an.
Wir sahen die Vorstellung am 19. Juni 2013. Die Premiere war am 12. Mai 2013.