Welch schöner bunter Bilderbogen. Welch schönes Spiel mit Masken, Marionetten und Doppelgängern. Achim Freyers Mannheimer Ring

Fries am Nationaltheater MannheimNein, dirigiert hat er nicht. Das besorgte für ihn Maestro Dan Ettinger. Ob das, was aus dem Graben klang, mit der spektakulären Bühne mithalten konnte? Ich weiß es nicht. Verhalten und kaum rauschhaft schien mir in Mannheim Wagners Musik , und ihr Zauber wollte sich selten so recht einstellen.  Mir schien es so, als ob  im Rheingold wie in der Walküre Orchester und Solisten  sich erst im letzten Drittel zur Hochform steigerten. Ein vollkommen subjektiver Eindruck. Vielleicht war auch alles ganz anders, und ich habe Ettingers Interpretation gar nicht verstanden.

Nein, für die Musik zeichnet Freyer nicht verantwortlich. Alles andere hat er selber gemacht: die Regie, das Bühnenbild, die Kostüme, das Lichtkonzept. Und zum Programmheft hat er auch noch eine Seite beigesteuert. Der Theatermacher als (beinahe) Gesamtkunstwerk-Macher. Und was unser Grossmeister bietet, das ist nicht nur schön anzusehen, sondern höchst beeindruckend. Nichts von müder Intellektualität, nichts von ideologischen Botschaften, nichts von obsoleter Rezeptionsgeschichte und abgestandenem ‚Realismus‘. Von all diesen schon so viele Male durchprobierten Konzeptionen hält Freyer sich fern und optiert stattdessen für ein archaisches oder,  wenn man so will,  für ein attisches Theater, bei dem die Personen hinter Masken und schweren Kostümen verschwinden und jegliche Individualität verlieren. Zum Verlust der Individualität trägt weiter bei, dass alle Personen ihre Doppelgänger haben, dass diese Doppelgänger für die Handelnden agieren, während diese, von ihren Vertretern durch einen Gazevorhang getrennt, an der Rampe singen und sich ihre Gestik auf wenige rituelle Handbewegungen beschränkt. Antirealistisches, rituelles Theater mit impliziten Verweisen auf  Robert Wilson?

Die Referenzen auf das griechische  Theater und auf Bob Wilson sind nur zwei, wenn auch recht auffällige Komponenten der Inszenierung. Hinzu kommen Verweise auf das Marionettentheater. Alle Personen haben nicht nur Doppelgänger, sondern ‚existieren‘ zugleich als Marionetten und als solche sind sie Spielfiguren der jeweils Handelnden. Besonders spektakulär  und zugleich sehr eindeutig in seiner Funktion ist dieses Spiel in den ‚ Szenen einer Ehe‘. Fricka wirft die sie umkreisende Siegmund Marionette einfach um. Wotan hingegen hält sie zunächst umklammert, und  am Ende der Auseinandersetzung mit der Gattin wirft auch er sie einfach von sich.

 Doch es ist nicht allein die Inszenierung, die beeindruckt. Mehr noch als die Inszenierung fasziniert das Spiel der Bildzitate auf der Bühne. Auch wenn man kein ausgewiesener Kenner der zeitgenössischen Malerei ist, wird man manche Referenz, manch fragmentarisches Zitat erkennen oder vielleicht auch nur erahnen oder sich auch nur einbilden, das eine oder andere schon einmal irgendwo gesehen haben. Waren es Enzo Cucchi oder Jean Michel Basquiat oder Julian Schnabel, auf die Freyer verweisen wollte? Anderes wiederum blieb mir rätselhaft. Warum laufen immer wieder Hunde durch die Szene? Warum ziehen die Walküren auch schon vor ihrem ersten Auftritt im dritten Akt als schwarze Gestalten mit einer Art Fahrradanhänger, der mit einem Scheinwerfer bestückt ist, durch die Szene? Schwarz gekleidete, bleich geschminkte Gestalten mit grotesken Kopfbedeckungen.  Vielleicht ist die Inszenierung doch nicht so durchgängig antirealistisch, wie es zunächst scheint? Verweist Alberich nicht in seinem Outfit auf einen SS Mann oder gar auf Hitler selber? Ein Bruch in der Regiekonzeption? Ein ‚ realistischer‘ Einstieg, der sich im Laufe des Geschehens immer mehr im Antirealistischen und vielleicht im Traumhaften auflöst? Vielleicht.

Wie dem auch sei. Spektakulär und ungewöhnlich ist Freyers Ring, von dem  wir am  7. Juni 2013 Das Rheingold und am Tag darauf Die Walküre sahen, allemal.

Wenn mich beim Rheingold und bei der Walküre der Mannheimer ‚Wagner Sound‘ nicht so recht überzeugt hat, so ist jetzt beim Siegfried  und nicht minder in der Götterdämmerung alle Skepsis verflogen. Von Anfang an erklingt ein rauschhafter Wagner, und im dritten Akt  des Siegfried und auch immer wieder in der Götterdämmerung da reichen Maestro Ettinger und sein Orchester dem Publikum fürwahr die berüchtigte Wagner Droge, schaffen einen Klangzauber, der begeistert und fasziniert. Und wenn dann  noch dazu mit einem so herausragenden Sängerschauspieler wie Jürgen Müller die beiden Siegfried Rollen besetzt sind und Judith Nemeth als Brünnhilde durchaus mithalten kann, dann bleiben keine Wünsche offen. Nicht von ungefähr zitiert das Programmheft Baudelaires berühmten Tannhäuser Artikel: „Wenn man dieser glühenden, despotischen Musik lauscht, scheint es einem bisweilen, als sähe man, in die Finsternisse gemalt, traumzerrissen, die schwindelerregenden  Bilder wieder vor sich, die das Opium hervorruft“.

 Und die Inszenierung? Ich muss gestehen, dass ich zunächst überhaupt nichts verstanden habe. Ein in einem Bett gefesselter Siegfried in Kostüm und Maske eines Clowns. Ein grell weiß geschminkter Mime – auch er eine Art Clown – und der Wotan aus der Walküre, die  zur Ouvertüre einen weißen Zwischenvorhang auf  und zu ziehen und sich an diesem Vorhang voreinander verstecken. Was soll das? So fragt sich die leicht irritierte Zuschauerin und begreift dann, dass das Spiel mit dem Vorhang das Signal  für ein Theater auf dem Theater, vornehm: ein Metatheatersignal ist. Konkret: ein Signal, für das Spiel mit den Marionetten,  das wir schon vom „Vorabend“ und vom “ ersten Tag“ her kennen und das jetzt am „zweiten Tag“ wiederaufgenommen wird und dass die Clownsmasken eine mehr als deutliche Referenz auf das Genre der Clown Movies sind, in die Freyer offensichtlich seinen Protagonisten und das Geschick, das ihm widerfahren wird, stellt.

Keine Clown Movies ohne Horror, das – so suggeriert die Regie uns im Publikum – solltet Ihr doch noch  von der Populärkultur, so zum Beispiel von Stephen King und seinem Film Es, wissen. Und deswegen gibt es einen gefesselten Siegfried. Und  deswegen suchen  eine Funken sprühende Drachenmarionette die Marionette Siegfried und der Riese aus dem Rheingold den Clown Siegfried zu erschrecken. Ein Kasperlespiel auf zwei Ebenen. Aus Wagners Siegfried Komödie wird zum Amüsement des Publikums die Siegfried Groteske mit Slapstick Einlagen und immer wieder mit einem Zwinkern hin zum Publikum – auch dies ist die Aufgabe des Siegfried Clown – einer Geste, die besagt, dass das alles doch nur ein Spiel ist – fern jeglicher ‚Realität‘. Und im dritten Akt da ist Brünnhilde konsequenterweise die bleich geschminkte Clownsbraut, die vom Bühnenhimmel herab, Siegfried „das Fürchten lehrt“, dem Clown, der sich immer wieder in die Kulissen flüchtet und, zwinkernd zum Publikum hin, sich von diesem Hilfe erhofft. Wagners großes heroisches Finale der Passionen als ironisch gebrochne Clownsnummer aus dem Zirkus. War es das? Oder gab es eine ideologische Botschaft?  War alles weit anspruchsvoller? Habe ich Freyers Grundkonzeption gar nicht verstanden? Mag ja  sein. Dann gehöre ich einfach zu den Naiven, denen  der  Genuss über die Erkenntnis versperrt ist und die sich mit den einfachen Freuden, vornehm gesagt: mit dem Literalsinn des Spektakels zufrieden geben müssen. Und es war zweifellos ein schönes und unterhaltsames Spektakel, das uns Achim Freyer  mit seiner Siegfried Variante in Mannheim geboten hat.

 Und  in der Götterdämmerung da geht es  weiter mit Clown Movies, Zirkus  und Varieté, dem Spiel mit Masken und Marionetten und Doppelgängern. Da laden drei junge Damen in Zylinder und Frack und ausstaffiert mit Busenattrappen ( wir wissen schon, das sind Wagners Rheintöchter) zum Spektakel ein. Da werden noch einmal auf der langsam kreisenden Drehbühne alle Akteure  des Rings vorgestellt, da verabschiedet sich Clown Siegfried von einer schwarz-rot gewandeten Brünnhilde,  da erscheint Hagen als verkrüppelter Clown.  Wird damit Hagens tödliche Intrige zum Zirkusspiel, zur Intrige des bösen gegen den guten Clown? Und wie im Zirkus sind die Sympathien des Publikums auf Seiten des guten Clowns?  Wird da aus dem scheinbar menschheitsgeschichtlich  so bedeutungsvollen Wagner Diskurs um Macht, Schuld und Erlösung ein Spiel der Clowns? Frei nach dem ach so obsoleten Motto: von der Tragödie zur Komödie ist es halt nur ein Schritt?

 Gunther und Gutrune treten als gesichtslose, nein:  als kopflose Figuren auf, die Köpfe unter krugförmigen grau-weißen Masken versteckt. Eine solche Maske, die die Person gänzlich unkenntlich  macht,  wird sich auch  Siegfried aufsetzen, wenn er Brünnhilde über seine Identität täuscht. Gesichts- und kopflos sind auch Günthers Mannen, bilden eine ununterscheidbare Masse.  Brünnhilde allein ist maskenlos und damit die einzige authentische Person am Hofe der Gibichungen. Die Masken ein Verweis auf die  grotesken Kreationen eines Tony Oursler oder nur eine simple Referenz auf Dummheit und Hohlköpfigkeit? 

Was bleibt – abgesehen von der so brillant zelebrierten rauschhaften Musik – vom Mannheimer Ring in Erinnerung?  Bilder über Bilder, groteske Gestalten, eine Märchenwelt ( vielleicht auch eine Antimärchenwelt) aus Licht, Farben und Figuren. Mit einem Wort: großes Theater, fern vom so altbackenen „Theater als moralische Anstalt“.

Wir sahen Siegfried am 14. Juni und Götterdämmerung am 16. Juni 2013.