In den Carceri Piranesis? In verfallenen römischen Palästen? In faschistischer Zeit? Das Rheingold an der Oper Leipzig

Rechtzeitig zu seinem 200. Geburtstag ehrt die Oper Leipzig Richard Wagner  mit einer ungewöhnlich  gelungenen Rheingold Produktion. Unter der Leitung von Maestro Ulf Schirmer  zelebriert das Gewandhaus den „Vorabend zum Bühnenfestspiel […]“ auf höchstem Niveau, singt und agiert ein  homogenes Ensemble  herausragender Sängerdarsteller. Auch an der  Inszenierung gibt es nichts zu bekritteln. Mit ihrer so ansprechenden  intertextuellen Konzeption weiß sie vom Niveau her mit Orchesterklang und Gesang  durchaus mitzuhalten. Rosamund Gilmore, die Regisseurin und Choreographin, die den Leipziger Ring verantwortet, verzichtet von vornherein darauf,  ideologische Botschaften – gleich welcher Art auch immer – der Handlung aufzupfropfen, hält Zeit und Ort des Geschehens bewusst im Vagen, setzt statt dessen auf ein manieriertes Spiel der Zitate und Referenzen, deutet immer nur an, gibt dem Zuschauer Rätsel auf, lädt ihn dazu ein, sich mit  eigener Imagination neue Deutungen zu erschließen. Sind die in graue Gewänder gehüllten tanzenden Figuren, die Handlung  und  Akteure begleiten, dienstbare Geister, Untote, Urmenschen, Gefangene, stumme, staunende Zuschauer des Geschehens oder ganz allgemein, wie es der Besetzungszettel ausweist, „mythische Elemente“? Ist Wotan – sein erster Auftritt im Königsmantel und goldenem Lorbeerschmuck könnte dies nahe legen – ein Art  Wiedergänger Napoleons oder des bayerischen Ludwig? Oder ist er – von den Alberich Szenen an tritt er als Schwarzhemd auf –  ein gewalttätiger Faschisten-Capo? Ist er nach Erdas Verkündigung der ‚Götterdämmerung‘ nur noch ein gebrochener Mann, ein antriebsloser, nur noch reflektierender Hamlet? Sind die ‚kleinen Götter‘ vielleicht einem Sherlock Holmes Roman entlaufen? Donner als proletarischer Delinquent,  Froh als Dr. Watson? Verweisen die Riesen in ihren buntkarierten Anzügen vielleicht  auf die machtlüsternen Intriganten Rosenkranz und Güldenstern im Hamlet? Erinnert nicht Freya in ihrem Puppenaufzug an Alice im Wunderland? Sind Mime und Alberich vielleicht Dickens Figuren?  Oder  Alberich, dem so übel mitgespielt wird, vielleicht  ein ferner Verwandter des Shylock? Wie dem auch sei. Mir schien es, dass die Regie ein Panoptikum  literarischer Figuren auf der Bühne versammelt hat, im Rheingold nicht die Geschichte vom Anfang der Welt erzählen will, sondern die Geschichte von Macht und Raub, Gewalt und Betrug mit Referenzen auf Figuren aus Geschichte und Literatur.

In welcher Welt bewegen sich die Handelnden? Auch auf diese Frage gibt die Regie keine Antwort. Sind sie alle gefangen an Orten, in nicht-authentischen Orten, die wiederum nur Zitate sind? Verweise auf verfallende  Paläste und Gärten aus Antike und Renaissance und auf Piranesis Kerker? Unfreie sind sie alle von Anfang an. Vielleicht Spielfiguren eines Harlekin Loge?   Alles bleibt im Vagen und Unbestimmten.  Und gerade dies macht den Reiz  einer Inszenierung aus, die von der ersten bis zur letzten Szene zu faszinieren weiß.

In Leipzig ist eine Rheingold Aufführung zu hören und  zu sehen,  bei der einfach alles gelungen ist. Musik und Gesang, Tanz und Szene. Ein großer Opernabend. Ein würdiges Geburtstagsgeschenk für Richard Wagner.

Wir sahen die Premiere am 4. Mai 2013.