Theatermacherin Karoline Gruber hält es in ihren Inszenierungen gern mit der Populärkultur und der Jugendkultur und setzt bei ihrem Publikum – auch beim etwas betagteren – das Wissen um diese voraus. So präsentierte sie zum Beispiel vor ein paar Jahren in Hamburg und in Köln einen Giulio Cesare in einer Art Westside Story Ambiente, in dem sich Gothics, Rocker, Punker, Tunten und Militaries gegenseitig belauerten und bekämpften. Mittendrin waren die beiden Zicken Kleopatra und Cornelia, die beide mitmischen wollten. Ein unterhaltsamer Abend, der, wenn ich mich recht erinnere, beim Kölner Publikum jedoch eher auf Unverständnis stieß. Jetzt in Düsseldorf sind wir bei der Rocky Horror Picture Show. Wer diesen ‚Kultfilm‘ oder Musicals wie den Tanz der Vampire nicht kennt, der Arme ist halt übel dran und kann mit der Inszenierung wenig anfangen – wie das ältere Paar neben mir, das seinen Don Giovanni nicht wieder zu erkennen vermochte. Die Fans der Populärkultur haben dafür im Düsseldorfer Don Giovanni ihren Spaß, finden ihr Vergnügen am Wiedererkennen von Figuren und Situationen. Noch vor der Ouvertüre kracht und donnert es. Janet und Brad (bei Da Ponte/ Mozart Zerlina und Masetto) suchen vor dem Unwetter Schutz in einem düsteren Schloss, wo ein finster drein blickender Diener sie empfängt und bewirtet. Die beiden unbedarften jungen Leute werden schnell Zeuge von allerlei Seltsamkeiten, in die sie immer mehr hineingezogen werden: zwei Frauen bemühen sich recht intensiv um einen Herrn im dunklen Outfit, der gerade aus dem Tanz der Vampire herausgesprungen sein muss, ein älterer Herr, der sich besonders stark fühlt, wird erstochen. Eine ganze Schar von bleichen Untoten (bei Da Ponte/Mozart der Chor der der Bäuerinnen und Bauern) steht immer wieder regungslos herum. Zu sehen ist halt die uns im allen im Publikum zu genüge bekannte Don Giovanni Handlung – verfremdet und neu kostümiert. Eine der möglichen Varianten des Don Giovanni-Mythos – und noch nicht einmal eine ganz abwegige, eben ein Spiel, ein parodistisches Spiel mit Zitaten aus heutiger Populärkultur.
Doch auch für die an dieser Art von Kultur nicht Interessierten, die sogenannten Bildungsbürger, hat die Regie ein tröstendes Bonbon bereit. Sie dürfen sich schon vor Beginn der Vorstellung an einem großformatigen Arnold Böcklin Bild, das den Bühnenvorhang einnimmt, erfreuen: Odysseus und Kalypso. Im Zentrum des Bildes Kalypso in Femme fatale Pose. Von Odysseus nur ein Schatten am Bildrand. Das Böcklin Zitat, so ergibt es sich im Laufe des Abends, ist der Schlüssel zum Verständnis der Inszenierung, der es primär um die Frauen, um „weiblichen Begehren“ (Karoline Gruber) geht und für die Don Giovanni nur das Objekt der Begierde ist – und weiter nichts. Eine Grundkonzeption, die das vermaledeite Problem, das so viele Literaten und Theatermacher beunruhigt, ein für alle Male gelöst hat. Ja, Donna Anna hat was mit Don Giovanni gehabt, eben weil er das Objekt ihrer Sehnsucht ist. Und alle anderen Damen und Herren 8wohl mit Ausnahme des schwachbrüstigen Don Ottavio) haben auch etwas mit ihm gehabt. Für alle ist er das bewusste oder zumindest unbewusste Objekt der Begierde, das sie aus ihren eigenen Zwängen befreit. Überdeutlich wird dies in im Finale. Da tanzen sie alle um Don Giovanni herum, formen um ihn und mit ihm einen Reigen, einen Liebesreigen. Nur der arme Don Ottavio, die Karikatur eines Corps-Studenten, mag nicht mitmachen, obwohl ihn Giovanni am Kragen packt und wie ein Hündchen durchschüttelt. Das Kerlchen kann nur Worthülsen von sich geben (wie in der einzigen Arie, die ihm die Prager Fassung zubilligt und bei der ihn alle anderen allein auf der Bühne zurücklassen). Er ist halt unfähig zur Begierde, mit einem Wort – so suggeriert es die Regie – er ist einfach impotent und noch nicht einmal latent schwul wie Masetto, eine Veranlagung, die Don Giovanni mit einem Kuss diesem bewusst gemacht hat. (Ein zusätzliches Bonbon für die Rocky Horror Picture Fans, die sich an die entsprechende – drastische Szene im Film erinnern). Im finalen Liebesreigen braucht es keinen schnöden Revenanten aus der Unterwelt, der Don Giovanni in die Hölle schickt. Der „steinerde Gast“ ist ein imposanter balkanischer Pope im vollen Ornat, der eine Schimpfkanonade loslässt und alle damit ein wenig erschreckt. Als er, den Segen spendend, sich wieder davon macht, steht Don Giovanni einfach auf, zieht sich in die Kulissen zurück und bleibt auch weiterhin das Objekt der Sehnsüchte und Begierde. Ein zirkulärer Schluss, der so brillant er auch inszeniert ist, letztlich doch wieder nur konventionell ist. Der Mythos, so wissen wir noch von Blumenberg, zeichnet sich durch unbegrenzte Wiederholbarkeit aus.
Und wo bleiben die Rocky Horror Picture Show und der Tanz der Vampire? Hat die Mär vom „weiblichen Begehren“ sie überlagert? Passen die beiden Ansätze: der populär parodistische und der gedankenschwer bildungsbürgerliche vielleicht nicht so ganz zusammen? Ich habe da meine Zweifel.
Von Orchesterklang und Gesang ist nichts Besonderes zu vermelden. Musiziert und gesungen wurde halt so wie es dem Niveau eines renommierten Hauses entspricht. Ein schöner Opernabend. Mehr auch nicht. Wir sahen die Premiere am 7. Dezember 2012.