„Mamma diceva la bambina…“ Puccini- Emotionen und Puccini-Kitsch grandios inszeniert. Il Trittico am Theater an der Wien

Was hält die drei scheinbar so disparaten Einakter, Il Tabarro, Suor Angelica, Gianni Schicchi, zusammen? Ich rede nicht von der Musik – das ist Sache der Musiker und der Musikhistoriker. Ich rede vom Libretto und von der Szene. Wollte  ich von der Musik reden, dann müsste ich ja sagen, dass ich Puccini nur schwer ertragen kann, dass die hochgepeitschten Emotionen, die diese Musik bewirkt und bewirken soll, dass dieses von allem zu viel, dieser Kitsch, dass dies alles mich nicht rührt, sondern eher zum Lachen reizt. Und ich müsste auch sagen, dass ich bei der zuckersüßen Arie der Lauretta  im Gianni Schicchi nicht die einzige im Publikum war, die ein Lachen nur mühsam unterdrücken konnte. Weil Puccini in dieser Szene sich  vielleicht selbst parodiert und weil die Regie noch eins drauf setzt, wenn sie Laurettina zur Arie mit den Ultraschallaufnahmen  ihres noch ungeborenen Kindes spielen lässt? Doch reden wir nicht von der Musik. Reden wir von der Szene,  die einen Puccini-Abend auch für Nicht-Puccini-Fans zum Ereignis werden  ließ.

Was hält die drei Einakter zusammen? Nicht die drei Varianten des Todesthemas: der gewaltsame Tod des Liebhabers in der Dreiecksgeschichte, der Selbstmord des ins Kloster verbannten ‚gefallenen Mädchens‘, die Leichenschändung am vermeintlichen Erbonkel. Eine solche Gemeinsamkeit ist Theatermacher  Daminano Michieletto zu Recht viel zu platt, viel zu fad. In guter alter Freud-Manier sucht er nach dem ‚Verdrängten‘, nach den ‚Komplexen‘, die die Protagonisten determinieren und damit auch die Handlung bestimmen. Und Regisseur Michieletto braucht nicht tief zu graben, wird schnell fündig. Das Libretto gibt genug der Signale. Der den Protagonisten gemeinsame ‚Komplex‘ ist die Sehnsucht nach dem Kinde. In Il Tabarro ist es die unerfüllbare Sehnsucht nach Vaterschaft, die den Schiffer Michele umtreibt, eine Sehnsucht, die die Ehefrau Giorgetta, die ihm den Liebhaber vorzieht, nicht  zu stillen vermag. Diese unerfüllte Sehnsucht ist es, die den Gatten zum Mord am Nebenbuhler treibt. Die Sehnsucht nach dem Kinde ist es, die  Suor Angelica im Kloster überleben lässt. Die Verzweiflung über den vermeintlichen Tod des Kindes wird sie  in den Selbstmord treiben. Im Gianni Schicchi schließlich ist es die Sorge um die Zukunft  seiner Tochter und seines ungeborenen Enkels, die den Protagonisten zum Testamentbetrüger werden lässt.

Traumata und psychische Belastungen, die die Regie in einen grandiosen Bilderbogen transformiert. Da spielt der Schiffer Michele schon zur Ouvertüre mit den Babyschuhen seines verstorbenen Kindes, zieht diese aus dem Mantel, den er im Finale über den gerade ermordeten Rivalen breiten wird. Da schleicht Michele auf der Suche nach dem Nebenbuhler im Hafen um die Container herum und glaubt sich von zahllosen halbnackten  Liebhabern seiner Frau umstellt und verlacht und gehörnt. Eine Wahnszene, die sich wiederholen wird, wenn Suor Angelica sich in ihrer Imagination, nein besser: in ihrer Verstörtheit, in ihrer Muttersehnsucht von zahllosen halbnackten Knaben umgeben sieht.

 Giorgetta, die Frau des Schiffers, ist keine Frigide, sondern eine proletarische Femme fatale im Containerhafen, Objekt der Begierde für alle dort arbeitenden Männer. Das Kloster des Librettos, in das die Verwandten das ‚gefallene Mädchen‘ gesteckt haben, verwandelt die Regie in ein katholisches Zwangsinternat, in dem sadistische Aufseherinnen  junge Frauen quälen, schikanieren und ausbeuten – im Namen der Heiligen Jungfrau Maria. Dort  steigert sich die geradezu vom Mutterwahn  besessene Angelica immer mehr in Delirium und Wahnsinn  hinein, schneidet sich die Pulsadern auf, und die Aufseherinnen (im Libretto die Nonnen) reißen das Kind, das keineswegs gestorben ist und das sich der Mutter nähern will, brutal-sadistisch von der Sterbenden. Da ist nichts mehr vom romantischen Liebeswahnsinn einer Lucia di Lammermoor. Das ist Naturalismus pur. Und dem Publikum, dem die Analogien  zu den Skandalgeschichten aus den konfessionellen Internaten und Erziehungsanstalten, wie sie immer wieder in der Presse zu lesen sind, mehr als deutlich sind, stockt geradezu der Atem. Da ist nichts mehr von mystischer Verklärung, wie sie Musik und Libretto im Finale wollen. Hier treibt die Regie Puccini jegliche Süße und jegliche Trostkantilenen aus. Eine Konzeption, die nicht zuletzt deswegen aufgeht, weil der Regie in der Person der amerikanischen Sängerin Patricia Racette eine überragende Sängerschauspielerin zur Verfügung steht, die glaubhaft und ergreifend die Suor Angelica  auf die Bühne zu bringen weiß.

Zu lachen gibt es da nichts mehr. Umso mehr zu lachen gibt es in der Gianni Schicchi Groteske, die die Regie nicht in der Dante-Zeit belässt, wie es das Libretto will, sondern mehr oder weniger in die Entstehungszeit der Oper verlegt. Eine Groteske um Erbschleicherei und betrogene Betrüger, in der das Ensemble zum Gaudi des Publikums sein komödiantisches Talent voll ausspielt, im Agieren der Lauretta und des Gianni das Leitmotiv der Sehnsucht nach dem Kinde zur Parodie verzerrt wird, bevor Gianni Schicchi die ganze Bagage im Container entsorgt und Lauretta und ihr Angebeteter sich im Bett des toten Erbonkels vergnügen dürfen. Frei nach dem Motto: von der Tragödie zur Komödie ist es nur ein Schritt. Oder Eros und Thanatos  haben sich wieder einmal vereint.

Und wieder einmal haben wir im Theater an der Wien einen faszinierenden Opernabend erlebt. Die Premiere war am 10. Oktober 2012. Wir sahen die Dernière am 23. Oktober 2012.